Habiru
folgen. Es hatte sich schon eine ganze Menge Menschen auf dem Platz eingefunden. Die Versammlung sollte bald beginnen. Überall war die Aufregung zu spüren, welche die Nachricht der Präsenz der Habiru in unmittelbarer Nähe ausübte. Nestas entschuldigte sich und ging nach vorne, wo sich die Ehrwürdigen Mütter trafen. Sarah konnte sehen, wie sich Nestas kurz mit den anderen Frauen unterhielt, die sich dort versammelt hatten. Darunter war eine fast weißhaarige Frau, die das Wort ergriff. »Liebe Bewohner Eridus.«
Sie machte eine Pause, weil es noch viel zu viele Menschen gab, die sich aufgeregt unterhielten.
»Hiermit eröffne ich die Versammlung aller Einwohner Eridus. Unser heutiges Thema sind Berichte über die Habiru, die hier in der Gegend gesehen worden sind.«
Es war nicht so einfach, Ruhe in die Menge zu bringen.
Sarah blickte fragend zu Schena, die ihr zuflüsterte. »Das ist die Dorfälteste, An-na heißt sie. Ihr gesteht das Vorrecht zu, eine Versammlung zu leiten.«
So etwas ähnliches hatte Sarah sich schon gedacht. Sie glaubte, diese Frau schon beim Solevu-Fest gesehen zu haben, und zwar in der Runde, in der Nestas stand, als sie ihre Herzensangelegenheit vorbrachte.
Die Menge hatte sich allmählich beruhigt, auch diese Frau strahlte eine Würde und Autorität aus, die alle gefangen nahm. Als sie erneut ihr Wort erhob, konnte man sie klar und deutlich verstehen, obwohl sie nicht sonderlich laut sprach. Alle hörten gebannt zu:
»Wer etwas vorzutragen hat, der möge sich nun melden.«
Ein Mann meldete sich, und An-na erteilte ihm das Wort.
»Die Sippe der Paloi ist der Meinung, wir sollten uns keine unnötigen Sorgen machen, auch wenn es Berichte gibt, die durchaus ungewöhnlich sind. Wahrscheinlich wurde wie so oft die Botschaft auf ihrer Reise verändert und von Erzähler zu Erzähler dramatischer. Wir glauben deshalb nicht an eine Bedrohung durch die Habiru, und sollten sie deshalb nach alter Sitte freundlich willkommen heißen.«
Ein allgemeines Gemurmel zeigte die Zustimmung. Sarah flüsterte Schena zu. »Was hat es denn mit diesen Berichten auf sich?« Schena schüttelte den Kopf und sagte: »Ach, das war ziemlich wirrer Kram, hauptsächlich wegen Aussehen und Verhalten der Habiru. Sie sollen auf großen Tieren sitzen, und noch niemals wurde eine Habiru-Frau gesehen. Daran kann man doch schon sehen, wie unglaubwürdig diese Berichte sein müssen. Es kann doch gar kein Volk ohne Frauen geben, wer soll den sonst für den Nachwuchs sorgen?«
Sarah dachte nach und schwieg, die Versammlung ging schon weiter, wieder hatte sich jemand gemeldet, dieses Mal eine Frau.
»Die Sippe der Sigura ist der Meinung, wir sollten schon vorsichtig sein. Denn es ist bei bestem Wissen nicht auszuschließen, dass die Berichte doch einen wahren Kern enthalten. Aber auch unsere Sippe ist der Meinung, wir sollten den alten Sitten folgen und ihnen unsere Gastfreundschaft gewähren.«
Bevor wieder ein allgemeines Gemurmel einsetzen konnte, sagte jemand: »Das ist doch Unsinn, was, wenn die Habiru wirklich eine ernste Bedrohung sind? Was wollt ihr dann machen? Ich sage es euch, dann wird es zu spät sein, wir müssen zuerst handeln, und kämpfen, auch wenn wir lange nicht mehr gekämpft haben.«
Die Menge sah in seine Richtung. Unruhe brach aus.
Nestas sagte zu den Mädchen: »Das ist Kalil, der Sohn Malenas. Das ist typisch für diesen Heißsporn.«
An-na bat die Menge um Ruhe, und rief Kalil zur Ordnung. »Hier hat jeder ein Rederecht, aber erst nach Anfrage und Aufforderung. Wenn die Sippe der Malenas eine Wortmeldung hat, möge sie bitte unsere Regeln beachten.« Doch Kalil schwieg, sichtlich verlegen, die Älteste erzürnt zu haben. Nestas meldete sich und blickte in Richtung An-nas, die anscheinend schon sehnsüchtig auf ihre Wortmeldung wartete und ihr dankbar das Wort erteilte. Sobald Nestas anfing zu sprechen, war es schlagartig ruhig.
»Die Sippe der Egura ist nicht der Meinung unseres jungen Kalis. Schon sehr lange haben wir nicht mehr gekämpft, das ist wahr, aber auch mit gutem Grund. Unsere Stadt blühte als Zentrum einer friedlichen Kultur auf, und jeder schätzt uns für unsere Kunst und unseren Handel. Niemand hat Grund, gegen uns Aggressionen zu hegen, und wir sehen auch keinen Grund für die Habiru, selbst wenn einige Berichte einen wahren Kern enthalten sollten. Wir empfehlen daher, wie die Sippen der Paloi und Sigura, die Fremden nach alter Sitte willkommen zu heißen und mit ihnen zu
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