Habiru
die Vergehende.«
Sarah wollte gerade fragen, warum Nestas ihre Überlegungen nicht schon vorhin beim Treffen mit Mousud kundgetan hatte, aber dazu kam sie nicht. Es raschelte vor ihnen im Gehölz.
Nestas hielt inne und gebot ihnen mit ihrer rechten Hand zu halten, in dem sie damit Schena stoppte.
»Psst, seid still, da ist etwas.« flüsterte sie.
Sarah wusste nicht was da hätte sein sollen. Vielleicht ein wildes Tier. Auf jeden Fall war sie Mucksmäuschen still.
»Ehrwürdige Mutter Nestas, Sarah, Schena!« rief eine wohlbekannte Stimme.
»Das ist Arnek!« bemerkte Schena, und Nestas schaltete sofort. »Arnek, hier sind wir!« rief sie mit lauter Stimme. Nach ein paar Orientierungsrufen stand er vor ihnen, er war nassgeschwitzt und völlig außer Atem.
»Der Großen Mutter sei Dank, dass ich euch gefunden habe. Ihr müsst sofort nach Eridu kommen. Die Habiru wurden nicht mal zwei Doppelstunden entfernt auf östlicher Seite des Buranum gesehen. Der Dorfrat soll zusammentreten, um zu beraten, was zu tun ist, und auf eure Stimme wird besonderer Wert gelegt, Ehrwürdige Mutter Nestas. Ich habe sofort angeboten, nach euch zu suchen.«
»Vielen dank Arnek.« Nestas klang längst nicht so aufgeregt wie Arnek. Was auch immer es mit den Habiru auf sich hatte, alle anderen schienen zu wissen, was dieser Name bedeutete. Sarah wurde es aber zu bunt. Schon mehrmals war von den Habiru die Rede, und sie wusste überhaupt nicht, um was es ging.
»Wer sind diese Habiru eigentlich?« Nestas erklärte äußerst knapp und kurz: »Habiru bedeutet in unserer Sprache Entwurzelter.«
Sarah war sichtlich unzufrieden mit dieser knappen Antwort, allerdings sah es nicht so aus, als ob Nestas noch mehr sagen würde. Sie lies sich damit aber nicht abspeisen.
»Was bedeutet entwurzelt? Ist es, weil sie wandern und keine Heimat haben?«
»Ja. Wir wissen aber fast gar nichts über sie, außer einigen dubiosen Berichten
von Händlern. Einige meinen, sie wären anders als wir, weil sie die Gesetze des Lebens nicht achten.«
Nun war auch Sarah beunruhigt. Sie fragte sich spontan, ob es einen Zusammenhang mit ihrer Anwesenheit und dem Erscheinen der Habiru geben könnte.Sie machten sich eilig auf den Rückweg.
Wie merkwürdig. Entwurzelter. Deutete auf einen Nomadenstamm hin. Da gab es doch mal einen Film über die Tuareg in der Sahara auf dem ZDF. Wieso ihr ausgerechnet jetzt diese Erinnerung kam war ihr nicht klar.
Vermutlich war es ihr Gedanke an die Wüste. Der genaue Inhalt der Sendung fiel ihr nicht mehr ein, sie erinnerte lediglich dass die Tuareg einen unglaublich effizienten Umgang mit Wasser hatten, und selbst dort überlebten, wo andere längst verdurstet wären. Sie beschleunigten ihr Tempo noch, um möglichst schnell zurück nach Eridu zu kommen.
»Du Schena, was hältst du von der Sache? Ob zwischen meiner Anwesenheit und dem plötzlichen Auftauchen der Habiru ein Zusammenhang besteht?«
Schena überlegte, und meinte dann nur: »Kann sein. Ich weiß selbst auch fast nichts über die Habiru. Alles, was ich weiß, hat Nestas vorhin schon erwähnt. Händler haben uns von diesem Volk berichtet. Wir sind gastfreundlich und empfangen jeden gerne und diese Menschen haben keine Heimat. Wieso sollten wir anders handeln als sonst? Ich glaube nicht, dass sie eine Gefahr sind. Sie sind bestimmt nur hungrig und durstig, und wenn ihre Bedürfnisse gestillt sind werden sie vermutlich weiterziehen. So wie unser Volk einst durch die Gegend zog.«
Sarah verstand nun etwas mehr, war aber überhaupt nicht beruhigt. In ihrem Kopf kreisten Gedanken darüber, ob es einen Zusammenhang gab zwischen ihr und dem fast gleichzeitigem Auftauchen der Habiru. Im Osten lagen dunkle, bedrohlich wirkende Gewitterwolken über dem Horizont, es schien, als ob es schon bald ein Unwetter geben würde.
4. Der Dorfrat
Sie waren zurück in Eridu. Sie schafften es wesentlich schneller als auf dem Hinweg, und das lag nicht nur an ihrem forschen Tempo. Selbst die kleinsten Pausen hatten sie sich versagt, um rasch zurückzukommen. So war es kein Wunder, dass sie völlig außer Atem waren, und erst einmal durchschnaufen mussten. Die Versammlung sollte unmittelbar nach ihrer Ankunft beginnen. Arnek kümmerte sich um frisches Wasser, das hatten sie nach der Anstrengung bitter nötig. Nachdem sie ihren Durst gestillt hatten, fühlten sie sich wieder besser.
Nestas marschierte schnurstracks zum Platz des Omphaloi-Steines. Schena und Sarah konnten ihrem Tempo kaum
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