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Hacken

Hacken

Titel: Hacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Braun
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durch Zufall eine Fernseh-Doku über das Herstellen von Gänseleberpastete sah. Wie die Tiere in Frankreich gemästet wurden, das bedeutete Quälerei. Ungefähr sechzehn Jahre alt war ich und entschied spontan, keine Gänseleber mehrzu essen. Noch ein Jahr zuvor hatte ich die französische Delikatesse auf dem Landsitz meines Brieffreundes Gilles in Südfrankreich mit Spaß verspeist. Die Reportage aber veränderte meinen Standpunkt. Von diesem Zeitpunkt an hatte ich ein Auge darauf, wie Menschen mit Tieren umgehen. Als ich dann abermals im TV sah, welch gigantische Landzerstörungen für die Rinderhaltung in Argentinien in Kauf genommen werden und wie die Tierquälerei dabei ebenso längst zur Methode geworden ist, da beschloss ich, kein Fleisch mehr zu essen. Angesichts meiner bisherigen Essgewohnheiten war das Vegetarierwerden nicht innerhalb eines Tages zu bewältigen. Ich liebte Fleisch. Mit 20 allerdings war ich soweit. Meine Großmutter beschwerte sich, »an Dir mit deinem spitzen Kinn ist doch sowieso nichts dran!«, doch meinen Entschluss setzte ich in die Tat um. Wie also konnte es dazu kommen, dass ich jetzt, etwa 15 Jahre nach diesem Entschluss, an einem Schreibtisch voller Junkfood sitze?
     
    Wie so vieles, das irgendwann den Fokus des Lebens verlässt, ist das Essen zu einer Marginalie verkommen. In Berlin gibt es Wichtigeres, wenn man Mitte Zwanzig ist oder Anfang Dreißig und das Stadtleben übt und genießt. Man isst halt etwas. Man verändert ganz langsam seine Bräuche. Essen ist kein Thema in meinem Berliner Leben. Für Sachen aus dem Bio-Laden hätte ich eh kein Geld, so denke ich zu dieser Zeit. In meinem Freundeskreis steht die ganze Ökobewegung sowieso unter dem Generalverdacht des Neo-Spießbürgertums. Ausnahmen gibt es zwar. Die körperverliebtenLeute aus der Techno-Szene ernähren sich durchaus bei vollem Bewusstsein. Das ist gut für den Body und gut für Pflanzen, Tiere, Atmosphäre. Sie bilden ebenso ihr Submilieu des Mainstreams der Minderheiten wie ich mit meinem Leben in, mit und für Popmusik. Doch wo sie ein Budget haben mögen für Feiern, Surfurlaube und die Milch aus dem Ökodorf Brodowin, parzelliere ich meine Ausgaben in anderer Form.
     
    Ich mache Musik, ich schreibe darüber, ich lege auf: Also kaufe ich Musik. Mich nur auf die Bemusterungen durch Groß- und Kleinlabels zu verlassen, wäre falsch und faul. Ich durchwühle die Vinyl-Fächer im SoulTrade und im Hardwax, suche nach HipHop, NeoSoul, Elektronika oder Dub-Techno. Dahin geht mein Geld, und in all die Clubs und Konzerte. Das Schreiben selbst gebiert zudem eine Trägheit. Es entgleitet mir allmählich, das Fingerspitzengefühl für die Lebensmittel, die ich täglich zu mir nehme. Als würde sich mein Körper, der Bewegungen und Anforderungen so heiß liebt, zunehmend mit Sitzen zufrieden geben. Das Fahrradfahren in der Stadt unterstützt paradoxerweise den Prozess meines Verfaulens. Simuliert es doch nur körperliche Anstrengung. Es fällt mir leicht, mich mit den üblichen Fahrten durch Kreuzberg zu begnügen. Auch nach Mitte ist es ja nicht weit.
     
    Essen, das ist für mich zu einer Supermarktbeziehung geworden: zutiefst warenförmig. Die Beziehung zu einem Supermarkt geht ja nicht über die Geschäftsverträge hinaus und bleibt daher freivon jeglicher Sinnstiftung: Frei von Werten, frei von Idealen, frei von Ortsbezügen. Der Supermarkt am Oranienplatz sagt: Hier ist ein Apfel, ein paar Cent kostet er nur, ein Apfel wie all unsere anderen Äpfel auch aussehen und schmecken, hundertprozentig. Ich kenne zu dieser Zeit keine Apfelsorten. Ich kaufe nach Farbe und Aussehen. Er soll halt schmecken wie ein Apfel und möglichst wenig kosten. Ich lebe in Berlin und habe kein Verhältnis zu diesem Apfel. Ich interessiere mich nicht, wer und was ihn hervor und in den Supermarkt gebracht hat.
     
    Mit Dreißig kreist die Welt um mich. Ich bin die Sonne, jetzt lebe ich in einer Stadt, in der um mich herum lauter solche Sonnen scheinen. Es kann Menschen zu Liebenswürdigkeit verhelfen, wenn sie zu Sonnen werden. Wenn diese Planeten voller Liebe all die anderen Gestirne um sich herum kreisen lassen. Nur der Stadt Berlin bekommt es nicht, dass sie zum Zentralgestirn erklärt wird. Denn jetzt kommen die Spackos.
    BERLIN IS OVER
    Berlin bildet eine hochkomplexe Stadtgesellschaft. Was darin gesprochen und geschrieben und gehört wird, firmiert jedoch unter einer erstaunlich niedrigschwelligen Maxime. Sie lautet Berlin. Welcher

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