Hackenholt - 02 - Das letzte Laecheln
Beschäftigung für den Nachmittag. Da Hackenholt voraussichtlich erst gegen Abend zurückkam, brauchte sie auf ihn keine Rücksicht zu nehmen.
Der Veranstaltungskalender auf den Internetseiten der Stadt Nürnberg enthielt sämtliche für diesen Tag angebotenen Aktivitäten in der ganzen Metropolregion. Die Elf-Uhr-Führung durch das Dürerhaus in Begleitung der ehrenwerten Agnes Dürer hatte sie bereits verpasst, aber um vierzehn Uhr bot sich Gelegenheit, mit Katharina Tucher durch deren Schloss an der heutigen Hirschelgasse zu wandeln und sich von den Skandalen des Mittelalters berichten zu lassen. Sophie musste grinsen. Was die Menschen in fünfhundert Jahren wohl über die Nürnberger der heutigen Generation erzählen mochten? Eilig verwarf sie den Gedanken und beschloss, dass die zwei Museen samt ihrer Hausherrinnen eher ein Programm für die sicher noch zahlreich kommenden regnerischen Wochenenden im Frühjahr waren. An einem der seltenen Sonnentage im Februar wollte sie lieber an die frische Luft. Also kämpfte sie sich weiter durch die Liste der Veranstaltungen. Wie erhofft bot auch »Geschichte für alle e.V.« verschiedene Rundgänge an. Sie hatte sich schon für eine Führung durch die Nord-Stadt mit dem Titel »Villen, Parks und Bürgerhäuser« entschieden, als ihr Blick an einem Altstadtspaziergang hängen blieb. Martin Ellrodt versprach »Sagen um einen verwegenen Ritter – Mit freundlichen Grüßen: Eppelein«.
Sophie liebte den Nürnberger Geschichtenerzähler, der optisch stets durch seine schwarze Kleidung mit den roten Hosenträgern auffiel. Was die Menschen, die sich um ihn versammelten, jedoch viel mehr beeindruckte, war seine außergewöhnliche Fähigkeit zu erzählen. Er schien einer Zeit entsprungen, in der die Geschehnisse noch mündlich überliefert wurden. Ein Troubadour höchster Güte, so lebendig und anregend wirkten seine Schilderungen. Sophie hatte schon manchen zu Anfang sichtlich genervt wirkenden Zuhörer gesehen, der von seiner Frau mitgeschleppt worden war. Am Ende des Spaziergangs war es jedoch ebendieser Mann, der hoffte, nach der angekündigten letzten Geschichte doch noch eine allerletzte und dann noch eine wirklich allerallerletzte hören zu dürfen.
Zwar hatte Sophie Martin Ellrodt erst vor einem Monat beim Nürnberger Erzählkunstfestival »Zauberwort« gehört, aber von seinen teils erfundenen, teils überlieferten Sagen konnte sie nie genug bekommen. Der einzige Wermutstropfen war, dass Hackenholt wie schon im Januar nicht mitkommen konnte. Die Kunst des Erzählens hätte auch ihn in den Bann gezogen. Und er hätte endlich einen lebhaften Einblick in die Untaten des bekanntesten Nürnberger Raubritters erhalten. Für einen Kriminalhauptkommissar ein absolutes Muss. Vor allem wenn er nicht in der Stadt geboren war, in der er jetzt ermittelte. Sophie lachte bei dem Gedanken unwillkürlich auf. War es doch Ritter Eppelein von Gailingen, der die Nürnberger sogar noch genarrt haben soll, als er schon zum Tode verurteilt war, und die Ratsherren mit dem Ausruf: »Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn zuvor!«, foppte, während er mit seinem Pferd über die Mauer in den Burggraben sprang und wie schon unzählige Male zuvor seinen Häschern entkam.
Hoffentlich stellte sich Hackenholt bei seinen Ermittlungen geschickter an als die Stadtknechte damals. Es war schon seltsam. Für den Ritter, der die Menschen im Mittelalter in Angst und Schrecken versetzt und sicher auch den einen oder anderen gemeuchelt hatte, empfand Sophie wohlwollende Sympathie. Für denjenigen, der die Leiterin der Sternmann-Filiale getötet hatte, hegte sie indes nur grenzenlose Abscheu.
Während sie dem Gedanken noch nachhing, zog sie sich ein Paar dicke Socken an. Auch wenn die Sonnenstrahlen das Gegenteil suggerierten, war es ein kalter Februartag, und Sophie wollte ihre Freude an dem schönen Wetter nicht durch eine nachträgliche Erkältung schmälern.
***
Wünnenberg blickte von seinem Schreibtisch auf, als Hackenholt am späten Sonntagvormittag das Büro betrat. Der Hauptkommissar sah erledigt aus, so wie immer, wenn er von einer Obduktion kam. Er konnte sich einfach nicht an die Geräusche und Gerüche gewöhnen, die es im Rechtsmedizinischen Institut zu ertragen galt. Oder vielmehr, er wollte es nicht. Je öfter er sie über sich ergehen lassen musste, desto heftiger stießen sie ihn ab. Immer häufiger wünschte er sich, der Richter oder Staatsanwalt möge selbst hingehen,
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