Hades und das zwoelfte Maedchen
längst.“
Ihre Worte waren Balsam für seine Seele, besser als jede Medizin der Welt, und er zog sie auf seinen Schoß, hielt sie im Sonnenschein an sich gedrückt. Gemeinsam würden sie glücklich sein. Vielleicht nicht so glücklich, wie er es sich einst für sein Leben mit Persephone gewünscht hatte, aber Ingrid war alles, was Persephone nie hatte sein können. Und Henry wusste sehr gut, wie glücklich er sich schätzen konnte, sie gefunden zu haben.
Die Wochen verstrichen, und schließlich war es so weit: Der Abend der Zeremonie war gekommen. Jedes Detail hatte Ingrid durchgeplant, von ihrem Kleid über das Essen bis zur Sitzordnung für die Ratsmitglieder. Auf Henrys Bitten hin hatten sie alles über sich ergehen lassen – auch wenn er den Verdacht hegte, dass sie es so oder so mitgemacht hätten bei dieser vielversprechenden Aussicht, sein Vergehen verhindern zu können. Wie dem auch sein mochte, alles fügte sich. Nur noch drei Prüfungen, und sie wäre endlich eine von ihnen.
Als die Ratsmitglieder eintrafen und sich auf ihre Plätze im Thronsaal begaben, machte Henry sich auf den Weg zu Ingrids Räumen. Er war nervös, seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, während sein Magen Purzelbäume schlug. Aber er tat sein Bestes, genauso ruhig und gelassen zu wirken wie sonst auch. Selbst wenn Ingrid keinen perfekten ersten Eindruck auf den Rat machte, es spielte keine Rolle, was sie von ihr hielten. Wichtig war nur, dass sie die Prüfungen bestand, und bis jetzt hatte sie sich fabelhaft geschlagen. Alles würde gut werden.
Er klopfte an ihre Tür und wartete ab, nahm an, dass sie sich noch das Haar richtete. Zu spät würde sie niemals kommen, nicht zu ihrer eigenen Feier. Doch als die Sekunden verstrichen und keine Antwort zu vernehmen war, klopfte er ein zweites Mal.
Stille.
„Ingrid?“, rief er. Hatte er sie vielleicht auf dem Weg zum Thronsaal verpasst? Nein, es gab nur einen direkten Weg, und für sie bestand kein Grund, einen anderen zu wählen. „Ingrid, ich komme jetzt rein.“
Er wusste nicht, womit er gerechnet hatte, als er die Tür öffnete. Vielleicht dass Ingrid auf dem Bett zusammengerollt liegen würde, übermannt von ihrer Nervosität. Oder dass sie vor ihm stünde, im Mund noch die Haarnadeln, mit denen sie ihre Frisur richten würde.
Jedenfalls hatte er nicht erwartet, sie auf dem Boden zusammengesunken vorzufinden, zerbrechlich und verloren in den üppigen Lagen ihres gelben Kleids. Und mit einer blutigen Wunde am Kopf.
Augenblicklich war er an ihrer Seite, sein Körper wie betäubt, als er nach einem Lebenszeichen suchte. Doch schon beim ersten Hinsehen hatte er gewusst: Sie war nicht mehr. Seine beste Freundin war tot.
Ein Schrei, wie ihn die Welt noch nicht gehört hatte, zerriss die Stille über Eden Manor, und Henry brauchte einige Augenblicke, bis er begriff, dass er es war, der schrie. Verzweifelt zog er ihren Leib an sich, versuchte durch seinen bloßen Willen das Leben in sie zurückzuzwingen, doch das quicklebendige Mädchen, das er geliebt hatte, war verloren.
„Bruder?“ Flüsternd drang Dianas Stimme an sein Ohr, und die Luft neben ihm geriet in Bewegung, als sie erschien. „Oh. Oh . Ist sie …?“
Er nickte, Tränen in den Augen und die Kehle wie zugeschnürt. Er drückte ihren zerbrochenen Körper an seine Brust, die Finger verstrickt in ihrem blutdurchtränkten Haar. Dies war kein Unfall gewesen. Sie lag mitten im Raum, weit weg von allem, an dem sie sich den Kopf hätte stoßen können, geschweige denn sich tödlich verletzen. Und ihr Schädel war eingedrückt wie eine Eierschale.
„Wer hat das getan?“, grollte Walters Stimme hinter ihm, doch Henry wandte sich nicht um. Er war wie gelähmt.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie hingefallen“, spekulierte Diana mit belegter Stimme, doch Henry hörte den Zweifel aus ihren Worten. Das glaubte nicht einmal sie selbst.
Als sie ihm die Hand auf die Schulter legte, schüttelte er sie ab. Es war seine Schuld – hätte er sich nicht von Diana dazu überreden lassen, wäre er einfach zurückgetreten und vergangen, wie er es vorgehabt hatte, wäre Ingrid noch am Leben. Sie wäre älter geworden, hätte Kinder bekommen und ein erfülltes, glückliches Leben geführt. Doch weil sie das Pech gehabt hatte, ihn kennenzulernen, war sie nun nichts weiter als ein lebloser Leib.
Calliope kniete sich neben ihn, die Augen weit aufgerissen, während sie die Hände zwischen die Knie presste. „Henry?“,
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