Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
ich sie mir, und jetzt, bei der zweiten Durchsicht, wog ich sie in meinen Händen. Ich fand sie beinahe leicht wie einen Revolver; nichtsdestoweniger hervorragend ausbalanciert. Mit ihrem kunstvoll geformten Schaft schmiegte sie sich geradezu zwischen Arm und Achsel. Aber es ging mir nicht um das Schießzeug an sich. Was mich neugierig machte, war jenes Relief.
»Sie sehen«, verfolgte Alma mein Studieren, »daß es sich um ein verschlungenes Muster handelt. Vielleicht hat es gar keine besondere Bedeutung. Vielleicht ist es nicht mehr als eine Gravur, ähnlich dem ausschmückenden Trallala in unseren Heimatliedern.«
»Ein ziemlich kurioses Trallala. Vor gar nicht langer Zeit, liebes Fräulein, brachte ich ein indianisches Leder zum Sprechen 61 , welches
für einen wertlosen Fetzen gehalten worden war. Es entpuppte sich aber als ein Brief, ein richtig ausführlicher, wie ihn kein Weißer, sondern nur ein Roter zu verfertigen vermag. Ein andermal, drüben in Südamerika, hatte ich einen sogenannten Kipus, eine Inka-Knotenschrift, zu enträtseln, welche auf einen sagenhaften Schatz hinwies 62 . Wieder ein andermal, nur ein paar Monate ist es her, wurde mir in Shanghai ein antikes Schwert gereicht, dazu ein Scherben. Letzteren erachtete man als Teil eines mit einer Dschunke untergegangenen Teegeschirrs. Es war aber ein Täßchen aus konfuzianischer Zeit, ein Einzelstück, welches ebenfalls ein Geheimnis 63 barg – wir wissen beide, daß ein Student auf einem sächsischen Seminar ganz nebenher Dinge lernt, die jedes indianische Oberhaupt, den pfiffigsten Chinesen, den gewieftesten Nachfahren der Altperuaner staunen machen.«
Spätestens mit diesem Hinweis genoß ich die ungeteilte Aufmerksamkeit Almas. Ihr mochte aufgegangen sein, was die Schlauheit eines Dresdner Studiosus, vor allem aber die Kombinationsgabe eines Westmannes zu ermöglichen wußte.
»Sehen Sie diese beiden silbernen Metallblenden?« fuhr ich darum fort. »Problemlos scheinen sie in das Blechunterstück zu passen, welches den eigentlichen Verschlußkasten bildet. Doch blicken Sie etwas schärfer – bemerken Sie diese winzigen Ungenauigkeiten? Das liegt an der Nacharbeit, die hier ausgeführt wurde, an der erst später vorgenommenen Veredelung der Waffe. So gründlich hierbei zu Werke gegangen wurde, es läßt sich nicht übersehen, daß sie ihr Dasein als eine von Hunderten ein und derselben Bauweise begonnen hat. Der Käufer oder Besitzer mag erst später einen geschickten Kunsthandwerker mit den Silberarbeiten beauftragt haben. Fräulein Alma – ich glaube, Ihr Vater hat dieses Gewehr nie in seinen Händen gehalten.«
»Wie bitte? Er muß es doch auf irgendeiner Station seiner Reise
ausgesucht und gekauft haben, wenngleich er es aus der Ferne zu mir spedieren ließ. Wie sonst hätte die Sendung mich gefunden?«
Ich konnte nicht umhin, über diese kindliche Vorstellung zu lächeln.
»Liebes Fräulein Alma, an ebendieser Stelle endet nicht, sondern beginnt erst das Rätsel – und wohl auch die Gefahr!«
Da erblaßte das schöne Wesen.
Weil mir an nichts weniger gelegen war, beeilte ich mich zu erklären:
»Niemand, schon gar nicht ein auf Reisen befindlicher liebender Vater, schickt seinem Kinde eine solche Waffe ohne ein paar begleitende Zeilen. Eine solche Depesche, so es sie gab, mußte jedoch unbedingt zusammen mit dem Geschenk reisen; eine separate Zustellung wäre nicht sinnvoll gewesen. Ihrem Vater muß daran gelegen haben, Sie wenigstens über die Vorzüge und Besonderheiten der Büchse in Kenntnis zu setzen, was Ihre Freude daran überhaupt erst begründen konnte. Des weiteren zeigen die Reliefs nicht etwa Muster, wie Sie denken oder die von Ihnen befragten Leute gedacht haben. Ich bin kein Fachmann, kann aber sagen, daß es sich um ägyptische Hieroglyphen handelt. Diese bestehen aus Laut-, Deut- und Bildzeichen. In dieser sogenannten Schrift der Gottesworte geht es vorwiegend um geistliche Belange; im Altertum pflegte man damit so ziemlich jeden alltäglichen Gegenstand zu verzieren. Man müßte sich die Mühe machen, die Zeichen auszudeuten.«
»Old Shatterhand, wenn Sie es könnten!« rief Alma und faßte nach meiner Hand.
»Ich, der Mann, der Ihrem Feinde, Milton Hayes, so ähnlich sieht?«
»Nein! Sie, Old Shatterhand, und Sie, Kara Ben Nemsi! Sie auch, der Schüler aus dem sächsischen Seminar, und Sie, ein umfassend gebildeter Mensch – meen Gudster, Sä gönn rumbäbln, wie Sä wolln, aber backn Sä dä
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