Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Hiehroglieffn am Schlawiddschn un läsen Sä se, ich bitt’ Sä!«

    Sächsisch! Das schöne Mädel sprach sächsisch mit mir! In ihrer Begeisterung und vielleicht auch Seelennot war sie in unser beider vertrautes Idiom verfallen. Wie wunderbar klangen diese lieben Laute aus ihrem schönen Munde! Vorsichtig, um mich keiner Dreistigkeit verdächtig zu machen, entzog ich mich der festen schlanken Hand.
    »Ja, liebes Fräulein, für ein Sachsenmädel wie Sie würde ich es wohl unternehmen, ein wenig rumzubäbln, mich einer solch vertrackten Aufgabe zu widmen.«
    »Ich saach’s doch, Sä Gudster! Duhn Sä’s, duhn Sä’s!«
    So jubelte Alma, und es fehlte nicht viel, und sie wäre mir um den Hals gefallen. Dies verhinderte leider besagte Waffe, die ich immer noch in Händen hielt. Sie war geladen und trennte uns damit um so mehr.
    »Nein, nein; ich verspreche nichts«, blieb ich sachlich und dem Hochdeutschen verhaftet. »Winnetou und ich haben einen Auftrag. Dieser duldet keinen Aufschub, denn Menschenleben hängen davon ab und etliches andere. Uns ist eine Frist gesetzt, die der nahe Winter bestimmt. Solche Hieroglyphen aber zu lesen oder vielmehr zu deuten ist eine zeitraubende Angelegenheit. Auch braucht man dazu Bücher, welche ich besitze, aber hier draußen nicht zur Hand habe.«
    »Das macht nichts, Old Shatterhand! Sofern es mit Geld zu tun hat, soll es Ihnen an nichts fehlen. Ich verfüge über genug Mittel, und sollten diese nicht reichen, wird uns von anderer Seite Hilfe zuteil. Mein Vater ist eine Kapazität. Jede Universität wird sich glücklich schätzen, ihm und damit mir behilflich zu sein!«
    »Liebes Fräulein Alma, ich sage es nochmals: Dies ist weniger eine Frage des Geldes als der Zeit. Für den Augenblick kann ich nur sagen: Sie haben hier ein prächtiges, komfortables, aufwendig gefertigtes Jagdgewehr. Aus einem Grunde, den Sie und ich nicht kennen, hat Ihr Vater es Ihnen zugedacht, aber jene Schriftzeichen – Reliefs, wie Sie sagen – erst im nachhinein anbringen lassen.
Warum das geschah und zu welchem Zwecke, was er Ihnen damit sagen will, das herauszufinden bedarf einer Menge Gedankenarbeit. Diese hier draußen zu leisten, in der Wildnis, ist unmöglich.«
    Damit wollte ich Alma stehenlassen, doch gab sie das nicht zu.
    »Old Shatterhand, ich bin ein Mädchen, kein Mann. Aber ich habe bewiesen, daß ich reiten und schießen kann. In vielerlei Hinsicht könnte ich mich als nützlich erweisen. Nicht weit von hier befindet sich ein Militärposten. Dort soll, dem Vernehmen nach, mein Vater auf mich warten. Wenn ich ihn finde, löst sich das Rätsel ganz schnell.«
    Es tat mir weh, diese Vorfreude zerstören zu müssen, aber durfte ich lügen?
    »Liebes Fräulein, so leid es mir tut, man hat Sie betrogen. Der Mann, der Ihnen die Grille mit dem Fort eingab, ist ein Komplize von Mister Hayes. Ich habe die beiden reden hören. Man will Sie in eine Falle locken, aus der selbst eine Hunt & Jennings Sie nicht befreien kann. Keineswegs befindet Ihr Vater sich in der Nähe, das hat man Ihnen nur weisgemacht. Sie sollten aus der Stadt verschwinden, wo man Ihnen nichts unbemerkt antun konnte. Weit weg indes, auf Indianergebiet, gedachte man sie zu überfallen, was nun auch geschehen ist. Doch getrost. Winnetou und ich lassen nicht zu, daß Sie in die Hände dieser Verbrecher geraten. Unser Weg führt allerdings weniger an den Green River als hinauf zum Yellowstone. Dort hat Mister Washburn, den Sie ebenfalls kennen, eine wichtige Aufgabe zu versehen.«
    »Aber danach, hinterher?« drängte das Fräulein. »Im Anschluß kehren Sie doch bestimmt in die Zivilisation zurück und könnten sich meiner Bitte widmen – verzeihen Sie, daß ich einfach so über Sie verfüge, aber Sie sind Old Shatterhand, sogar Kara Ben Nemsi. Wenn nur die Hälfte stimmt, was Herr Halef mir über Sie erzählt hat und was ich über Sie gelesen habe, so ergänzt es sich vortrefflich mit dem, was ich sehe, was Sie mir sagen und so vortrefflich darzulegen wissen. Darf ich Sie und
Winnetou nach dem Yellowstone begleiten, und werden Sie mir anschließend behilflich sein?«
    Herrje! Während meines Sprechens hatte ich noch mit Zweifeln gerungen und war mit mir selbst unentschieden gewesen, da schob sich jene schöne ringlose Hand abermals über meine Rechte, die immer noch das fremde Gewehr umfaßt hielt. Kriegerisch und doch sanftmütig, amazonen- und doch mädchenhaft stand Alma vor mir, in der stolzesten, aufrechtesten Haltung