Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Beschreibung zu liefern, Phantasie und Einbildung nicht zu Hilfe nehmen werde, habe ich bereits deutlich gemacht. Was mir ohnehin viel stärker als Äußerlichkeiten an ihr auffiel, war ihr Selbstbewußtsein, ich sage: ein noch aus der Distanz spürbarer, natürlicher Stolz. Erst dieser verlieh dem schönen Kinde seine unwiderstehliche Anmut, und ich denke, daß es weniger die Makellosigkeit ihrer Züge war, die mich sogleich für sie einnahm, dieses Antlitz, in dem noch kein einziges Fältchen eingegraben war, was im Grunde ein unverdientes Geschenk der Jugend ist. Nein, es war dieses Leuchten aus ihrem Innersten heraus, über dessen Fehlen bei gewöhnlichen Personen kein noch so hübsches Lärvchen hinwegzutrösten vermag.
In Almas Gesicht gab es keine Spur von erlittener Niedertracht oder Boshaftigkeit. Weder sah ich bei ihr Kummer über Zurücksetzung
oder Demütigung, wie sie etwa ein unverdient arm geborener und in Armut aufgewachsener Mensch erdulden muß; Schutz und Sicherheit spendende Menschen mußte sie als Eltern haben. Wie sehr anziehend wirkte sie allein auf Grund dieser Reinheit, so ungefähr muß ich gedacht haben und auch, daß es noch keiner Seelenqual gelungen war, Zweifel in diese kluge glatte Stirn zu ritzen. Wie ja Entbehrung von Kindesbeinen an für Unruhe in der Physiognomie sorgt, so verleiht ein stets gedeckter Tisch dem Menschen von klein auf einen Ausdruck von Zuversicht, welchen kein spät erworbener Reichtum erzeugen kann. Es ist meine feste Überzeugung, daß bereits eine gute regelmäßige Kost – neben Liebe, Wärme, Zuwendung – ein jedes Geschöpf zu seinem Vorteile prägt, während das Gegenteil, der beständige Hunger nach all diesem, den Menschen versauert und ihm das Dasein zu einem einzigen, stärkenden oder vernichtenden Kampfe macht.
»Sihdi, Winnetou, darf ich vorstellen: Das ist das Fräulein Alma!«
Dies waren Halefs Worte gewesen. Anstatt aber beiseite zu treten, um eine Begrüßung zu ermöglichen, setzte er an zu der umständlichsten Vorstellung. Dabei wechselte er in sein blumenreiches Arabisch, dessen geschwind abfolgende Gurgellaute er auf uns herniederschneien ließ wie weichste Daunen:
»Allah, der Erbarmer, der Barmherzige, der Weltenherr, und Allah, der König am Tag des Gerichts, welcher – – – «
Es half nichts, ich mußte dem Freunde ins Wort fallen. Wollte ich ihn gewähren lassen, wäre wohl erst die Welt neu erschaffen worden. So trat ich auf das Fräulein zu, entbot ihm, an Halef vorbei, meine Hand und sagte auf deutsch:
»Hier steht Winnetou, der Häuptling der Mescalero-Apachen, und ich bin Old Shatterhand, Sachse wie Sie und also Landsmann.«
Mitnichten wurde meine Hand entgegengenommen. Das Fräulein erhob vielmehr sein Gewehr und sagte warnend:
»Nein, Sie sind nicht Old Shatterhand! Sie wirken jünger als neulich bei Herrn Pfäffle, das ist wahr, und Sie tragen sich in anderer Kleidung, aber ich erkenne Sie: Sie sind Milton Hayes!«
Bei anderer Gelegenheit hätte ich über diese Verwechslung wohl gelacht, hier war mir nach Späßen nicht zumute. »Fräulein, ich bin Old Shatterhand, wenngleich man mich schon mehrfach auf meine Ähnlichkeit mit diesem Menschen angesprochen hat. Bitte, fragen Sie nur Hadschi Halef Omar. Er mag bestätigen, wer ich bin.«
Und eilends versicherte Halef:
»Dieser Mann ist mein Sihdi und bester Freund. Überall ist er als Kara Ben Nemsi bekannt!«
»Ah!« rief Fräulein Alma. »Ein weiterer Name!«
»Schon, aber mein Sihdi hat noch viel mehr Namen. In seiner Heimat zum Beispiel heißt er – – – «
Noch ehe Halef meinen bürgerlichen Namen aussprechen konnte, trat Winnetou hinzu. »Mit welchem Namen man von meinem weißen Bruder spricht, ist gleich. Die einen nennen ihn so, die anderen so, aber der Häuptling der Apachen nennt ihn Scharlih. Da kennt nun meine weiße Schwester gleich noch einen weiteren seiner Namen, den schönsten, allerliebsten, der jedoch nur für ihn und Winnetou bestimmt ist, howgh!«
Noch mehr als diese Worte selbst war es die Bestimmtheit, mit der sie gesprochen worden waren. Die Befangenheit, welche auf so unerklärliche Weise zwischen das Fräulein und mich getreten war, löste sich.
»Also sind Sie, neben vielen anderen, wirklich Old Shatterhand und nicht Milton Hayes – es liegt hier eine unglaubliche Ähnlichkeit vor. Ich gebe zu, mich geirrt zu haben; Sie sind ein anderer, obwohl Sie sich genauso bewegen, so sprechen und auch so klingen wie
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