Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Gebete und machte sich ebenfalls reisefertig. Mit Freude stellte ich fest, daß er und Alma außer ihren Pferden jeweils mit einem Maultiere versehen waren. Das Gepäck, das ein jedes zu tragen hatte, war kein umfangreiches. Mit Leichtigkeit würde es sich auf ein einziges vereinen lassen, wodurch wir Everts beritten machen konnten.
Während ich noch überlegte, stand auf einmal Alma neben mir. Gewiß weniger aus Verlegenheit als um der Sorgfalt willen inspizierte sie ihr Gewehr. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, sie auf manches anzusprechen, also sicherte ich meinerseits den Henrystutzen, hängte ihn mir über und sagte zu ihr:
»Beide sind wir Landsleute, sogar Sachsen. Sprechen wir also für den Augenblick weiter auf deutsch – ich nehme an, man hat Ihnen auch sonst von mir erzählt?«
Kurz von ihrer Verrichtung aufsehend, sagte Alma:
»Nie hätte ich gedacht, Old Shatterhand und zugleich Kara Ben Nemsi zu treffen. O ja, Herr Halef hat von Ihnen erzählt, sozusagen von Ihnen beiden – nein, das ist zuwenig: vorgeschwärmt hat er mir!«
Ihre Stimme war, ungeachtet ihrer Jugend, eine unerwartet tiefe, ein warmer und runder Alt, während ich mich an Nscho-tschis als einen ans Falsett reichenden Sopran erinnere. Dem Part in einer gemeinsam gesungenen Kantate ähnlich, kam ich diesem Alt mit meinem Tenor entgegen.
»Geschwärmt, sagen Sie? Vergessen Sie nicht, Halef ist Orientale. Sowohl das Erzählen als auch das Schwärmen ist ihm eingeschrieben, Fräulein Grüner.«
»Wie, Sie kennen meinen Nachnamen?«
»Herr Pfäffle in Cheyenne nannte ihn mir.«
»Noch ein Landsmann«, seufzte sie. »Seltsam, daß es so viele Deutsche in die Fremde zieht.«
»Und doch wieder nicht, liebes Fräulein. In der Heimat sind die Zeiten schwer. Es gibt zuviel Not und zuwenig Arbeit, aber genug Geschäftemacher. Ist es da nicht vernünftig, auf Schusters Rappen in die Welt hinauszuziehen?«
Ein allerliebstes Lächeln flog Almas Antwort voraus. »Mir scheint, Old Shatterhand gibt sich nicht mit einem solchen Rappen, mit Schuhsohlen, zufrieden – ein wunderschönes Tier reiten Sie.«
Ihr Blick fiel auf Hatatitla, der unterhalb der Felsen auf mich wartete.
»Ein Geschenk Winnetous!« erklärte ich stolz.
Sogleich reckte mir Alma ihr Gewehr entgegen. »Ein Geschenk meines Vaters!«
Ich war so frei, nach der mir gewissermaßen angebotenen Waffe zu greifen, um sie mir genau anzusehen. Schon aus der Ferne war mir ihre hohe Schußfolge aufgefallen. Nun, aus der Nähe, interessierte mich ihre ungewöhnliche Bauweise. Es handelte sich um ein dem Henrystutzen verwandtes Gewehr. Allerdings war es bedeutend kleiner und mit einem viel schmäleren, versilberten und aufwendig ornamentierten Verschlußkasten versehen. Angesichts dieses Zierrates sowie des achtkantigen Laufes vermutete ich ein eher kleines Kaliber, wie es häufig bei Jagdbüchsen für Damen verwendet wurde.
»Sie frönen dem Waidwerk, Fräulein? Pirschen Sie in den Elbniederungen nach Rebhühnern und Füchsen?«
»Mitunter. Und hierzulande auf Indianer, wenn sie mir ans Leben wollen.«
Ich lächelte gleichfalls und reichte die Waffe zurück.
»Das muß ein besonderer Mann sein, der seiner Tochter eine Hunt & Jennings zum Geschenk macht. Diese Ziselierungen oder Reliefs an den Seiten wurden wohl nachträglich gemacht?«
»Ja«, wurde Alma mitteilsamer. »Man weiß nur nicht, was sie
bedeuten. Ich habe unterwegs manchen Schützen getroffen, der sich für einen Waffenkenner hielt. Aber keiner vermochte mir zu sagen, was es mit diesen Mustern auf sich hat.«
»Hat denn Ihr Vater nichts zu seinem Geschenk gesagt?«
»Er hat mir das Gewehr gar nicht persönlich übergeben. Es wurde mir überbracht, vor etlichen Wochen, übrigens ohne jeden Brief oder besondere Nachricht, was mich beunruhigte. Er ist Archäolog, aber noch nie so lange ausgeblieben wie diesmal. Zuletzt befand er sich auf einer Forschungsreise durch die Sahara, zusammen mit meiner Mutter sowie Erna, meiner jüngeren Schwester.«
Ich antwortete nicht sogleich. Auf die heftigste Weise meldete sich Kara Ben Nemsi in mir: die Sahara, Nordafrika, dieser Wissenschaftler – das waren ja eigentümliche Familienverhältnisse. Herr Grüner, Privatforscher und mutmaßlich wohlhabend, auf jeden Fall unabhängig, befand sich mit Frau und Tochter auf Studienfahrt; eine weitere Tochter war zu Hause geblieben und von unterwegs beschenkt worden, mit ebendieser Flinte, die ein Fünfzehnschüsser war. Nochmals erbat
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