Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
auf ihrem Bauche ruhten, ertönte hinter dem zurückgeschlagenen Vorhange der Klang eines Hornes. Eine Schar Sklaven flatterte in den Raum, jeweils mit nicht viel mehr als einem grobwollenen Leibtuche bekleidet. Leichtfüßig umschwärmten sie die Liegenden wie die Stehenden und verhängten nebenbei sämtliche Fensteröffnungen.
Als nächstes entzündeten sie eine Handvoll Fackeln, obgleich draußen noch heller Tag war. Einige trugen ein monströses Holzgestell herbei, auf dem ein polierter Messingkessel dampfte, andere mühten sich mit einem wohl vor Äonen brokatbezogenen Lehnsessel, welcher, abgeschabt wie der kuriose Springbrunnen, auf unergründliche Weise in die Einöde gelangt war.
Aidschans nunmehr nutzlos gewordenes Utensil mit sich führend, entfernten sich die Helfer. Lediglich vier von ihnen blieben zurück und nahmen hinter besagter Sitzgelegenheit Aufstellung. Zwei von ihnen schwenkten wuchtige Palmwedel als Fächer, die anderen taten desgleichen, indem sie sich je eine Fackel griffen und für ein wenig Illumination sorgten. Dieses unruhige Licht blendete einen jeden in dem sonst weithin verdunkelten Raume. Zweifellos war der nun folgende Auftritt auf einen Effekt größtmöglicher Einschüchterung berechnet.
In dem Pandämonium dröhnte das Horn zum zweiten Male, und ein ganz anderer Mann trat herein. Bewußt den Schatten der Fackeln nutzend, legte er die wenigen Schritte bis zu dem Stuhle im Dunkeln zurück. Mit einer huldvollen Geste setzte er sich zurecht, einen bedrohlichen Schlagschatten gegen die hinterseitige Wand werfend. Wohlgefällig blickte er auf die rings um ihn her Liegenden, mißmutig allerdings auf die beiden einzigen Stehengebliebenen. Finger schnippten, und eine bemerkenswert tiefe Stimme befahl:
»Alle Männer – auf!«
Augenblicklich sprang alles in die Höhe. Aidschan hastete, als gälte es sein Leben, um sich eilends zur Linken seines Herrn zu postieren; Faris Abbas hastete nicht minder und nahm die rechte Seite ein.
Ein weiteres Fingerschnippen, und zwei der Leibgardisten faßten Halef und Sir Edward, die Unbeugsamen. Sie wurden vor den »Thron« gezerrt und jeweils auf den Bauch gezwungen.
Der Mann in dem Fauteuil, von dem Halef und Sir Edward ahnten, daß er Abu Saleh sei, stieß einen koketten Seufzer aus. Als nächstes hob er zu einer bemerkenswerten Rede an. Leise, wie in sich gekehrt, doch so deutlich betonend wie ein Vorleser, sprach er zu den Gefangenen:
»Kein Feldherr und kein Reïs 19 , kein Aga und kein Bey, kein Pascha oder Wesir, weder Kalif noch Sultan, nicht der Dey von Algier und nicht einmal der Padischah – kein Mann unter der Sonne ist mächtiger, als ich es an diesem Orte bin, in der Oase Dschunet. Ich bin Abu Saleh, den man auch Abu Scheitan nennt, den Vater des Teufels. Vor meinem Willen hat kein Messer Bestand, keine Lanze und kein Gewehr. Selbst die Kanonen der Engländer oder die Reiterheere der Türken könnten mich nicht besiegen. Ohne mein Wasser ist ein jeder verloren, wie erst eine Armee? Wem ich es nicht erlaube, sich an meinen Quellen und an
meinen Brunnen zu laben, dessen Knochen müssen in der Sonne bleichen. Wer Streit hat mit seinem Nächsten, bittet mich um Schlichtung. Ich aber rufe jeweils auch den Kontrahenten zu mir, und nur wer mir den höchsten Preis entrichtet, darf auf günstigen Ausgang hoffen. Wer indes geizt, erfährt Gerechtigkeit, die den Tod bringt. Mit tausend Mann und mehr ist man schon gegen mich aufmarschiert, bis vor meinen Palast wagte man sich heran, und doch – nie wurde auch nur eine einzige Kugel auf mich abgefeuert. Der Vater des Teufels ist nicht nur besonders stark, er ist auch gefürchtet. Wer ihn angreift, attackiert zugleich die größte Kostbarkeit in der Tassili-Wüste: Dschunet gehört allein mir, die zuverlässigste Wasserstelle weit und breit. Und wenn der Regen ein Jahr lang ausbleibt, oder zwei Jahre, drei und noch mehr, meine Brunnen versiegen nicht! Sterbe ich, stirbt das Wasser mit mir, denn zuvor vergifte ich es! So wie ein jeder Herrscher Vorkehrungen trifft, seine Macht über den Tod hinaus zu erhalten, so habe ich die meinen getroffen. Ein gewaltsames Ende Abu Scheitans würde unbedingt das Elend von Tausenden bedeuten. Das ist gerecht, bedarf es doch Zehntausender, um einen Kämpfer wie mich aufzuwiegen. Niemand – hört, ihr Fremden! –, niemand, der in meine Hände gegeben ist, darf auf Hilfe hoffen; es gibt sie nicht. Weil kein Sterblicher meine Macht anzutasten imstande ist
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