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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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du? Der Kapitän war kein Unschuldslamm, aber unschuldig genug, um nicht von diesem ausgezehrten Alptraum geschlachtet zu werden . Oder was i m mer er tat.«
     
    Der Alte weinte jetzt, aber er schien es nicht zu merken.
    Es war mir ein wenig unangenehm, aber es war auch dunkel genug im Zimmer – ich brauchte nicht weg zu sehen.
     
    »Wir steuerten das Schiff eine Weile, als wir am nächsten Tag die Brücke leer fanden.
    Der Soldat stand einfach neben mir und sah auf die diesige See hinaus.
    Zwei Matrosen waren übrig, und ich mochte sie nicht beso n ders; sie waren Trinker, und dafür hatte ich nie etwas übrig, aber trotzdem konnte ich sie nicht ansehen.
    Gollek und ich hatten einen Entschluss gefasst.
    Am Abend wären wir nahe genug am Festland, um uns in e i nem der Beiboote davon zu machen. Wir wussten, dass wir es nicht aufhalten konnten, also ließen wir zwei Figuren im Spiel, während wir verschwinden würden.
    Meine Scham darüber, zwei Menschen zu opfern, wurde von der Furcht überdeckt, selbst Opfer zu werden. Außerdem war ich als letzter dran, oder? Also rettete ich dem Soldaten das Leben.«
    »So kann man es sehen«, pflichtete ich ihm bei.
     
    »Wir nahmen das Logbuch an uns. Der Kapitän hatte einige wirre Eintragungen gemacht, aber uns ging es um etwas And e res: Auf dem Einband waren die Namen aller Matrosen ve r merkt, und wenn diese Bestie einen Brief schreiben konnte, war sie auch in der Lage, zu lesen. Wie sich herausstellte, kon n te sie bedeutend mehr als das.«
    Er senkte den Kopf, als würde ein großes Gewicht auf seinen Schultern lasten; als er ihn hob, war seine Miene angespannt.
    »In der Dämmerung gingen wir von Bord. Den beiden anderen hatten wir gesagt, sie könnten sich hinlegen, da wir die Wachen neu einteilen müssten, und dass an Bord ein Fieber grassieren würde. Sie glaubten uns, dass der Kapitän und die anderen in ihren Kojen lagen. Wir hatten die Kajütentüren mit Keilen blockiert. Ist es nicht erstaunlich, wie dumm manche Leute sind?«
    Er sagte das ohne Gehässigkeit; es klang nur traurig.
     
    »Dann ließen wir das Boot zu Wasser. Die Sonne ging bereits unter, und wir brauchten ziemlich lange, weil wir nicht einfach die Vertäuung lösen und das Boot aufs Wasser klatschen lassen konnten. Als wir von Bord gingen, war es dunkel; ich hielt das Logbuch fest umklammert, während mein neuer Freund, der Soldat, zu rudern begann wie der Teufel.
    Ich sah mich ein letztes Mal um. Ich wollte es nicht, aber wa r um sollte es mir anders gehen als dem biblischen Lot mit se i nen Salzsäulen?
    Die Umrisse der Gestalt waren von einem blutigroten Licht umgeben, als der Rest der Sonne verschwand, um der letzen Nacht der zurück gebliebenen Matrosen Platz zu schaffen.
    Der unheimliche Mitreisende stand still da und betrachtete unsere Bemühungen, vom Schiff fort zu kommen; dann hob er seinen spinnengleichen Arm und schleuderte etwas nach uns.
    Etwas, das wie ein Brummkreisel einen Stern sprühender Nässe verspritze, während es in der Luft rotierte . U nd dann schlug der Kopf des Kapitäns zwischen uns auf und besudelte uns mit schwarzem Blut, das nach verdorbenem Erdreich stank und nach Tod schmeckte.«
     
    »Eine gute Geschichte«, sagte ich schlicht.
    Das war sie wirklich: Richtig gut. Sehr erhellend.
    »Eine wahre Geschichte, Junge.«
    »Was passierte dann? Sie kamen davon. Wie?«
     
    »Wir wuschen hastig und unter spitzen Schreien unsere Gesic h ter und ruderten, ruderten. Ich fragte mich die ganze Zeit, wä h rend wir uns durch die dunklen Wasser quälten, ob der Unhold meinen Namen gelesen hatte.
    Wir gingen in Langenwerder ans Ufer. Und versteckten uns.«
     
    »So, so«, sagte ich.
     
    »Die Zeitungen schrieben nichts. Auch am Tag darauf nicht, als wir uns in einer Kate nahe der Stadt versteckten. Aber am dri t ten Tag war zu lesen, dass unser Schiff in Wismar eingelaufen war. Das Gemetzel an Bord war unbeschreiblich. Wir hatten gedacht, alle Matrosen wären von Bord geschafft worden, aber das stimmte nicht. Er hatte sie an den Füßen aufgehängt und in einer dunklen Ecke des Laderaums ausbluten lassen. Der Kopf des Kapitäns fehlte, genauso wie das Logbuch, hieß es in der Zeitung. Unsere Souvenirs.
    Den Kopf hatten wir über Bord gehen lassen, obwohl Gollek nach zwei Tagen auf See meinte, wir sollten versuchen, damit Aale zu fangen. Ich bin durchgedreht, und es wäre beinahe zu einem Unglück gekommen. Wir hatten genug von dem Kopf … in der Tat.
    ›Schnappen wir uns

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