Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
den Mistkerl‹, hatte Gollek nach dem St u dium der Schlagzeilen gebrüllt, aber das war gar nicht nötig gewesen. Denn der Reisende, diese wandelnde Pestilenz, hatte bereits begonnen, uns zu suchen.«
»So«, lächelte ich mit einem Blick auf die Uhr, »das glaub ich wohl.«
Es ging auf den Nachmittag zu; in einer Stunde hatte ich Dienstschluss.
Sah so aus, als würde ich mir heute was dazu verdienen.
»Er jagte uns, bis wir das Land verließen. Wohin wir auch k a men, blieben wir nur kurz. Er heuerte Schergen an, und in den Sechzigern hätten sie uns fast gekriegt. Das war im Schwar z wald, und ich erinnere mich als wäre es gestern gewesen. In gewissem Sinn war es das auch. Die Zeit verrinnt langsamer seit der … Sache auf dem Schiff. Sie kesselten uns ein, ein vö l lig enthemmter Mob, und zündeten uns die Hütte über dem Kopf an.
Wir rannten. Wir waren schon alt, aber wir rannten wie junge Hasen. Das war das Unheimlichste an der ganzen Sache: Wir alterten zu langsam – und waren damit kräftig genug, Verfo l gern zu entkommen, die es überall zu geben schien. Überall. Schließlich landeten wir in Rom. Dort gab es Ruhe für uns. Bis seine Leute auch dort erschienen.«
»Ich denke, es lag an dem Blut«, sagte ich.
»Was lag an dem Blut? Welchem Blut?«
»Na«, sagte ich sanft, »das Blut vom Kopf des Kapitäns. Ihr Souvenir. Das Blut aus der Kehle des Toten. Das Blut, von dem ihr Passagier gekostet hatte. Ich denke, Sie haben etwas davon in den Mund bekommen. Sie und Ihr Soldat. Deswegen leben Sie schon so lange.«
Er lachte bitter. »Meinst du, er hat uns zu Verdammten g e macht oder so etwas?«
»Nö«, erwiderte ich. »Ich denke, verdammt waren Sie schon vorher. Es war wohl so eine Art Werbegeschenk. Eine Ware n probe für ein ewiges Leben. Im Prinzip hatten Sie Glück.«
»Glück«, blaffte er. »Ich hatte nie eine Familie wegen dieser Sache. Glück!«
»Wo haben Sie das Logbuch?«, fragte ich.
Ich fand, es klang sehr freundlich, nicht wie die Stimme eines Mannes, der zweifelte.
»Versteckt. Wie wäre es, wenn wir nun zu deinen Geschäften zurück kämen?«
»Oh«, sagte ich, »stimmt. Wären Sie so reizend, mir meinen Beleg zu unterzeichnen?«
Offenbar war die Geschichte zu Ende.
Er kramte in der Schublade und fand einen Kugelschreiber.
Dann setze er seinen Namen darunter, wobei er seine Zunge n spitze aufblitzen ließ.
Wallmann. Ziemlich krakelig.
»Besten Dank. Kommen wir nun zurück zu den anderen G e schäften. Wo ist das Logbuch?«
Er schaute mich mit einer Mischung aus Belustigung und Ve r wirrung an.
»Glaubst du mir etwa nicht?«
»Sicher glaube ich Ihnen, Herr Wallmann. Oder darf ich Sie Mauermann nennen; der Name, mit dem Sie geboren wurden? Victor Mauermann, nicht wahr? Ihren Namen während ihres Aufenthaltes in Brighton derartig beknackt ins Englische zu übersetzen … Mann!« Ich schüttelte den Kopf.
Er schüttelte seinen bedeutend schneller.
»Was …?«
»Geld«, sagte ich. »Geld und das ewige Leben ist die Triebfeder der Häscher. Was, außer Sex, kann noch reizvoller sein?«
Die Pause, die eintrat, schien Jahre zu umspannen.
»Wie haben Sie mich gefunden?«, krächzte er, jetzt ganz Greis, und ich stellte amüsiert fest, das manchmal nur der richtige Chef nötig war, sich Respekt zu verdienen.
»Wenn Sie vom Blut des Herren gekostet haben, wird Ihre Nase besser. Bei mir war es so. Nicht nur, aber auch.
Es riecht nach Tod in diesem Haus, überall. Hier, auf der schlimmsten Station, strömen Sie einen Duft aus, der beinahe hundert Jahre alt ist. Sie sollten hier nicht liegen – aber eine gute Tarnung war es schon. Wirklich gutes Versteck.«
Er zuckte mit den Achseln und blickte mich müde an.
»Wer würde einen Verdammten in einem Altersheim suchen?«
»Seniorenresidenz«, korrigierte ich ihn und spazierte in das Badezimmer seiner letzen Herberge in dieser Welt.
Das Logbuch war im Spülkasten der Toilette – deswegen hatte er mich zum Pinkeln auf den Gang geschickt. Er hatte es sor g fältig in Plastikfolie eingeschweißt.
»Wo ist er?«, fragte Mauermann aus dem Zimmer.
»Wer? Oh … Er hat Wismar nie verlassen. Er liegt in den K a takomben einer denkmalgeschützten Kirche. Die haben eine Menge davon. Er kommt nur von Zeit zu Zeit hervor. Und dann ist er meistens schlecht gelaunt.«
Ich hörte sein Stöhnen und ging wieder rüber.
»Sie alter Fuchs. Clever.«
Ich öffnete die Styroporbox, die ich ihm geliefert hatte und entfernte
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