Hände weg oder wir heiraten: Roman (German Edition)
als wäre ich plötzlich von einem besonderen Element erfüllt, das leichter war als Luft. Es war mir völlig egal, dass in wenigen Minuten die geladenen Gäste eintreffen würden, unter ihnen natürlich auch seine Verlobte und seine künftige Schwiegermutter. Es war mir gleichgültig, dass er vorhatte, eine andere zu heiraten. Mich kratzte auch nicht im Geringsten, dass mein Ex mit wütend hochgezogenen Schultern und Mordlust im Blick schon das zweite Glas Champagner kippte und undeutliche Worte vor sich hin murmelte. Ferner tangierte mich nicht im Mindesten, dass in eben diesem Moment weiterer unangemeldeter Besuch auftauchte, nämlich mein Vater mitsamt den beiden Russen und unserer Nachbarin Dorothee. Klaus, Annabel, Gesine und Pauline hatten sich ebenfalls zu ihnen gesellt, und nun schoben sie sich alle miteinander als schnatternder und lachender Pulk von der Diele in die Kanzleiräume.
Ich hörte ihr vergnügtes Geplauder wie durch Watte und grüßte im Stil einer mechanischen Aufziehpuppe nach rechts und links. Auch optisch nahm ich sie nur am Rande wahr, wie durch einen dichten Gazeschleier. Gestochen scharf sah ich nur Sven, der mir seine Hand entgegenstreckte, sacht meinen Ellbogen umfasste und mich die Treppe hinaufführte, bis ganz nach oben ins Dachgeschoss, in seine neue Wohnung.
Die beiden Räume waren ebenfalls mittlerweile komplett fertig renoviert. Es gab sogar eine kleine Einbauküche und ein hübsches funkelnagelneues Bad. Natürlich hatte ich es mir schon angeschaut, die Handwerker ließen ja ständig die Tür hier oben offen stehen.
Doch die machte Sven jetzt vorsichtig hinter sich zu, nachdem er mich in die kleine Diele gezogen hatte. Ich zitterte vor Aufregung, was er mir zeigen wollte, und ich musste nicht lange warten. Er packte mich und schob mich mit einem tiefen Aufstöhnen gegen die Wand. »Tut mir Leid, ich weiß, dass es sich nicht gehört und dass es ein mieser Trick ist, aber ich konnte es einfach nicht mehr länger aushalten!«
Im nächsten Moment küsste er mich hart und verlangend und mein Verstand klinkte sich vollständig aus.
*
Als ich wieder zu mir kam, war es eine Stunde später. Wir lagen in Svens Bett, ineinander verkeilt und völlig nackt, und den Geräuschen nach, die von unten heraufhallten, war die Party in vollem Gange.
»Deine Eröffnungsfeier«, sagte ich. In Wahrheit meinte ich deine Verlobte.
Anscheinend war ich dabei, Mitglied einer von mir bisher nie akzeptierten menschlichen Spezies zu werden: eine heimliche Geliebte. Ich würde mir Lebenshilfebücher kaufen müssen, die den Titel Sonntags nie oder Die Kirschen in Nachbars Garten trugen, und ich würde mich den lieben langen Tag nur in Internetforen rumtreiben, wo sich Menschen dieser unterdrückten Bevölkerungsgruppe zum Rumjammern und Mutmachen trafen.
Es sei denn, ich schaffte vorher den Absprung. Oder sorgte für klare Verhältnisse. Entschlossen machte ich mich von meinem heimlichen Lover los und sprang aus dem Bett.
»Was hast du vor?«, fragte Sven schläfrig.
Ich zog mich eilig an. »Ich werde jetzt runtergehen und Serena ein paar Wahrheiten an den Kopf schmeißen.«
Er richtete sich alarmiert auf. »Tu das nicht!«
»Doch!«, schrie ich. »Ich will nicht länger nur ein Zwischenschnucki sein!«
»Britta, warte!«
Doch ich war schon auf dem Weg nach unten. Auf der Treppe ordnete ich rasch meine Haare und prüfte, ob meine Klamotten richtig saßen. Mein Outfit war dasselbe wie auf der letzten Hochzeit, ein formelles, aber dafür gewagt knapp sitzendes Kostüm. Knapp deshalb, weil ich in der letzten Zeit zu viele Brötchen verdrückt hatte. Doch das interessierte mich im Moment nicht die Bohne. Je breiter ich war, desto mehr Front konnte ich gegen Serena bilden.
Meine Ahnung hatte mich nicht getrogen. Sie war da, draußen auf der Terrasse, wo sie wie die glitzernde Königin eines Bienenvolks inmitten der übrigen Gästeschar Hof hielt, diesmal jedoch weder nuttig wie auf Annabels Hochzeit noch elegant wie neulich in der Stadt, sondern eindeutig eine Mischung aus beidem. Sie trug ein knielanges, knallenges, hochgeschlossenes Seidenkleid von Gaultier, das jeden Zentimeter ihrer künstlich aufgeppten Silhouette betonte. Das Haar hatte sie zu einem verspielten Chignon aufgesteckt, und sie hatte Make-up aufgelegt wie für eine Operngala. Als biedere Geschäftsfrau hatte sie mir eindeutig besser gefallen, aber vermutlich war gerade ihre extreme Wandlungsfähigkeit eine Eigenschaft, die sie für
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