Hände weg oder wir heiraten: Roman (German Edition)
Dienstleistung, die im Leben wirklich Sinn machte. Heiraten, das war doch heutzutage keine echte Notwenigkeit mehr, sondern ein unkalkulierbares Lebensrisiko! Eine Art russisches Roulette, das in mehr als dreißig Prozent aller Fälle unausweichlich zu einem Show-down namens Trennung führte, und dann lautete das Motto nicht mehr Bis dass der Tod euch scheidet, sondern Aus Ex mach hopp. Wenn ich mich recht erinnerte, gab es sogar ein Buch, das so hieß. Ein Ratgeber, der ein echtes Bedürfnis bediente, nämlich die Folgen der Heirat möglichst schnell wieder zu beseitigen.
Außerdem begriff ich, wie ich all die Jahre auf die Leute gewirkt haben musste mit meinem naiven Barbie-Kindheitstraum, mich unbedingt zu vermählen. Vielleicht war das ja überhaupt der einzige Grund, warum Thomas so neurotisch geworden war. Er hatte nicht genug Mumm besessen, sich meinem unerbittlichen Heiratsverlangen zu widersetzen. Der arme Kerl war sozusagen mein wehrloses Opfer geworden. Wahrscheinlich war er sich die ganze Zeit über vorgekommen wie in einem Beziehungsthriller mit dem Titel Hände hoch oder wir heiraten. Oder so ähnlich. Das ganze Hochzeitsbrimborium mit mir hatte sich dann sozusagen in sein Nervenkostüm eingefräst, mit der Folge, dass es jetzt zu einer fixen Idee für ihn geworden war, die Frau seiner Träume tatsächlich zu heiraten. Nur eben nicht mich, sondern Serena.
Zufrieden mit dem Ergebnis meiner Schlussfolgerungen, spann ich meine Überlegungen weiter und fand, dass ich mich nicht nur im Fleisch- und Wurstwesen gut machte, sondern möglicherweise auch eine passable Psychologin abgab.
»Woran denkst du?«, fragte Pauline.
Ich packte mir zwei Scheiben Truthahnwurst auf eine Brötchenhälfte. »Ich überlege, einen neuen Beruf zu ergreifen.«
Sie schaute mich erstaunt an. »Ach, du auch?«
»Wieso auch?«
»Na, ich denke schon seit ein paar Tagen drüber nach, bei der Kripo aufzuhören und irgendwie bei den Geschäften deines Vaters mitzumischen. Es klingt alles sehr spannend, was er so erzählt.«
Ich bekam einen Hustenanfall – echt, nicht vorgetäuscht –, womit unsere Unterhaltung beendet war. Den Rest des Tages gammelte ich mehr oder weniger herum, hockte zeitweilig mit Pauline im Garten auf der Terrasse oder lesend in meinem Zimmer und gab zwischendurch immer wieder dem Drang nach, durch die frisch renovierte Kanzlei zu stromern und mir alles genau anzusehen. Und mir vorzustellen, wie Sven sich hier drin als Anwalt machen würde. Die Erkenntnis, dass er bestimmt wunderbar hier reinpassen und wirklich toll an diesem Schreibtisch aussehen würde, stürzte mich zusätzlich in Depressionen. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und fuhr zu meinem Elternhaus. Die Russen waren ausgeflogen – sehr beruhigend – und ich fand auch nirgendwo Zeichen von Vandalismus. Meine Barbies und Kens saßen ebenfalls unberührt in meinem alten Zimmer. Ich streifte durch die Räume und stellte mir vor, dieses Haus, in dem ich eine glückliche Kindheit verbracht hatte, verkaufen zu müssen. Das hätte ich besser gelassen. Ich fiel in ein so tiefes Stimmungsloch, dass ich mich reif für eine pharmazeutische Behandlung fühlte. Wie hieß das Zeug gleich, das die hysterischen Hollywoodfilmstars in solchen Krisen immer einwarfen – Xanax? Auf der Rückfahrt in die Störtebekerstraße hielt ich an einer offenen Apotheke und fragte danach. Der Apotheker gab mir Baldrianperlen mit und behauptete, die wären schon sehr gut für den depressiven Anfänger, und außerdem hätten sie den Vorteil, dass ich sie praktisch in unbegrenzter Menge einnehmen könnte. Ich kaufte sie, führte mir eine ordentliche Dosis zu Gemüte und ging früh schlafen.
*
Bis zum Tag der Kanzleieröffnung gab es keine besonderen Vorkommnisse. Mein ursprüngliches Vorhaben, mit meinen Siebensachen in mein Elternhaus überzusiedeln, hatte ich schnell wieder fallen gelassen, weil ich keine Lust hatte, von morgens bis abends Baldrian zu schlucken, zumal das Zeug sowieso nicht wirkte, es sei denn, man zählte die Verstopfung mit. Wenn ich das Haus schon verkaufen musste, wollte ich mir bis dahin wenigstens die Dauerdepression ersparen.
In der Störtebekerstraße fühlte ich mich ein kleines bisschen besser, komischerweise hauptsächlich immer dann, wenn ich mich in den Kanzleiräumen aufhielt. Ich hatte eigenmächtig die Kartons mit den juristischen Sammelbänden und den Kommentaren und Gesetzestexten ausgepackt und alles schön nach Farben und Größen
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