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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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auf.
    Dunkel und undurchdringlich lag der See in der morgendlichen Stille. Plötzlich aufgeregtes Geschnatter von Stockenten. Auf der Ostseite des Sees stob ein Pärchen wild mit den kurzen Flügeln schlagend aufs offene Wasser davon. Es war Brutzeit. Sie verließen ihre Jungen nur, wenn sie gezwungen wurden.
    Falcos Ohren zitterten, seine Nüstern blähten sich auf. Irgendetwas machte auch ihn nervös. Sebastian richtete sich im Sattel auf, kniff die Augen zusammen und spähte zu der Stelle, von der die Enten geflüchtet waren. Bewegte sich da etwas am Waldrand? Ein Schatten zwischen den Bäumen?
    Wahrscheinlich Wild. Die Tiere kamen oft zum Trinken an den See.
    Ein paar Minuten noch genoss Sebastian die Stille, dann führte er Falco an und ritt zurück zum Hof. In der Stadt, dieser anderen, weit entfernten Welt, wartete ein Mörder auf ihn.
     
    Nachdem er sich zuerst um Falco gekümmert und dann selbst geduscht und gefrühstückt hatte, machte Sebastian sich auf den Weg ins Büro. Die Fahrt dauerte fünfundvierzig Minuten, und das war entschieden zu lange, um den
Fall Trotzek die ganze Zeit erfolgreich aus seinen Gedanken verdrängen zu können. Während er sich durch den morgendlichen Berufsverkehr quälte, war sein Kopf voller grausiger Tatortfotos, pathologischer Berichte und polizeilicher Protokolle.
    Den weißen Wagen sah er deshalb zu spät.
    Meine Ampel ist grün! Verdammt, Scheiße, ich habe Vorfahrt!
    Trotzek war mit einem Schlag verschwunden. Wie eine Rakete schoss der andere Wagen auf die Kreuzung. Noch ehe es passierte, wusste Sebastian, dass es passieren würde. Er klammerte sich ans Lenkrad, trat das Bremspedal durch bis zum Bodenblech, atmete scharf ein – und dann kniff er die Augen zu wie ein kleiner Junge, der glaubt, damit der Gefahr entgehen zu können.
    Jämmerliches Schreien gequälter Reifen.
    Der plötzliche Ruck war enorm. Unglaubliche Kräfte pressten Sebastian in den Sicherheitsgurt. Augenblicklich schoss der Airbag heraus und drückte ihn in den Sitz zurück. Blech zerriss. Glas explodierte. Grauenvolle Geräusche. Sebastian wartete auf den Schmerz, auf den spitzen Gegenstand, der ihm in die Bauchdecke fuhr, auf den schweren Klotz, der seine Beine zermalmte.
    Plötzlich war es vorbei. Jegliche Bewegung erstarrte.
    Ineinander verkeilt blockierten die Wagen die Kreuzung. Ein zänkisches Paar, das nicht voneinander lassen konnte, eingehüllt in intensive Stille. Die Welt hielt den Atem an und wartete ab, ob es weitergehen konnte.
    Dann hörte Sebastian, die Lider immer noch fest zusammengepresst, zischend Wasserdampf aus dem Motorblock entweichen, und kapierte, dass er den Unfall überstanden hatte. Er öffnete die Augen. Gleichzeitig stieg ihm alarmierender
Geruch in die Nase. Benzin! Der Wagen würde explodieren! Eine geborstene Benzinleitung, der heiße Motor … hastig löste er den Sicherheitsgurt, stieß den jetzt schlaffen Airbag beiseite – und fiel aus dem Wagen, weil jemand im selben Moment die Tür öffnete. Dieser Jemand griff nach ihm, als er neben seinem Wagen zu Boden ging.
    »Der Tank … Benzin … wir müssen weg, schnell!«
    »Ruhig, bleiben Sie ruhig, hier läuft kein Benzin aus.«
    Sebastian stützte sich auf den ausgestreckten Arm und ließ sich hochziehen.
    »Sind Sie okay?«
    »Ich … ich hab ihn nicht kommen sehen.«
    »Beruhigen Sie sich. Sind Sie verletzt?«
    Sebastian sah an sich herunter. Kein Blut, keine stechenden Schmerzen, nur ein Taubheitsgefühl, das aus den Beinen langsam in seinen Körper kroch.
    »Ich hab ihn wirklich nicht gesehen.«
    »Sie trifft keine Schuld, das kann ich bezeugen. Die ist wie’ne Wahnsinnige bei Rot auf die Kreuzung gerast. Muss wohl lebensmüde sein, die blöde Kuh.«
    Erst jetzt sah Sebastian den Mann, der ihn noch immer am Ellenbogen stützte. Ein großer bärtiger Mann in der Kleidung eines Bauarbeiters. Sebastian sah sich um. Überall Menschen, die Kreuzung war voller Gaffer. Da vorn, der andere Wagen, der andere Wagen, großer Gott …!
    Ein kleiner weißer Japaner, in der Mitte eingeknickt, wo sich die Schnauze seines schweren Volvo hineingebohrt hatte. Ein paar Leute standen herum, starrten ins Wageninnere, jemand versuchte, die Beifahrertür zu öffnen. Durch den aufsteigenden Wasserdampf des defekten Kühlers hindurch konnte Sebastian in den Wagen sehen. Ihm zugewandt war das Gesicht einer Frau, schwarzes Haar, geschlossene
Augen, abgeknickter Hals. Blut, das ganze Gesicht verschmiert, Blut an der zerborstenen

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