Haeppchenweise
überziehen, eine Prunkgeste, die daraufhin vom Bürgertum übernommen wurde. Für weniger Betuchte ersetzten findige Köche das Blattgold durch eine Panade aus Brotbröseln. Feldmarschall von Radetzky war so angetan von der Goldhülle, dass er das Panierverfahren nach Wien brachte. Dort wurde das Gericht so typisch, dass es ab 1900 seinen Namen bekam: Wiener Schnitzel. (Aus www.gutekueche.at)
Nachdem ich das Carpaccio auf der Buffetliste durch Kalbstatar ersetzt habe, begebe ich mich auf die Suche nach einer Porzellanschüssel, damit ich mein Gemetzel wie Absicht aussehen lassen kann. Ein hervorragender Vorwand, um Julias Behauptung auf den Grund zu gehen.
Dem Geräuschpegel nach sind die ersten Gäste eingetroffen. Ich linse über das Treppengeländer ins Foyer hinab und sichte eine Menge weibliche Hochsteckfrisuren und gekämmte Herrenscheitel. Zu Felix gehört bestimmt keiner von ihnen. Seinen wirren Cappuccinoschopf würde ich unter Tausenden erkennen.
Da ich die Küche im Erdgeschoss vermute, bleibt mir nur der Weg mitten durch die Gesellschaft aus raschelnden Taftröcken und Maßanzügen. Ich zupfe an meiner Schürze und zwinge ein Lächeln in mein Gesicht. Zähle bis zehn, betrete die oberste Treppenstufe ... und lege instinktiv den Rückwärtsgang ein.
„Felix! Da bist du ja endlich!“, flötet eine weibliche Stimme da unten, einen Tick zu hoch, einen Tick zu laut.
Leider schlendert gerade Frau Lohrischs Enkel mit suchendem Blick den Gang entlang, direkt auf mich zu. Pustekuchen von wegen „nix wie dahin, wo ich hergekommen bin.“ Panisch drücke ich mich in die nächste Türnische. Nicht, dass ich vor dem Albinomann Angst hätte. Seine Gegenwart ist mir nur ... unangenehm.
Unten klirren Gläser, lautes Gelächter schallt durch das Foyer. Ich bin verwirrt. Wieso freuen sich alle über meinen Exfreund?
„Gott, das ist ja eine rie-sige Kamera!“ gurrt die Frauenstimme wieder, und plötzlich geht mir ein Licht auf. Natürlich! In ganz Köln wird im August geheiratet, und Felix und ich landen ausgerechnet auf derselben Feier, ich als Caterer, er als Hochzeitsfotograf. Das ist entweder eine besonders grausame Laune des Schicksals ... oder Fügung.
Timons Schritte verlangsamen sich. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er mir nachspioniert. Dann fühle ich es. Die Tür in meinem Rücken steht einen Spalt breit offen! Ich hole Luft, schlüpfe in das Zimmer hinein und schließe lautlos die Tür hinter mir.
Heruntergelassene Jalousien scheinen eine Marotte in Haus Warndorf zu sein. Als meine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt haben, erkenne ich einen altmodischen Frisiertisch, ein Himmelbett und einen Kleiderschrank mit weit geöffneten Türen. Ich befinde mich in einem Schlafzimmer. In einem ziemlich unaufgeräumten Schlafzimmer.
Mein Blick bleibt auf dem zerwühlten Bett hängen, auf dem ein riesiger Kleiderberg liegt. Auch auf dem Teppich liegen Klamotten und Schuhe verstreut. Mir entschlüpft ein Kichern. Die Bewohnerin hatte es entweder eilig oder ist verdammt unordentlich. Keine Ahnung wieso, aber die Unbekannte ist mir sofort sympathisch.
Selbstverständlich schickt es sich nicht, in fremden Zimmern herumzuschnüffeln. Daher lege ich mein Ohr auf das lackierte Holz und kümmere mich ausschließlich um das, was auf dem Flur geschieht. Sobald die Luft rein ist und dieser Timon ... Ich stutze. Das schnarrende Geräusch kam eindeutig nicht von draußen. Sondern aus diesem Raum.
Ich kneife die Augen zusammen und gehe langsam auf das Bett zu. Eigentlich müsste ich seit Jahren eine Brille tragen. Für ein paar Sekunden schärft sich die Kontur des Kleiderbergs. Des sich bewegenden Kleiderbergs.
„Louise?“, flüstere ich.
„Verschwinden Sie!“, wimmert es. Okay, also kein Geist.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
„Mir kann keiner mehr helfen!“, schnieft das Stimmchen.
„Oh gut. Das sage ich auch immer, wenn ich getröstet werden möchte.“
„Kommen Sie bloß nicht näher!“
„In Ordnung.“ Ich setze mich auf den Teppich und lege die Hände in den Schoß.
„Hören Sie, die Party ist schon in vollem Gange. Sie verpassen ein ziemlich leckeres Büffet.“
„Ich hasse diese Hochzeit!“ Der Kleiderberg raschelt empört.
„Nun, ich würde sie auch hassen, müsste ich mich in einem dunklen Zimmer unter einem riesigen Berg von Abendkleidern verstecken.“ Jetzt muss ich doch grinsen. Wahrscheinlich hat das arme Mädchen heute Morgen einen kolossalen
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