Haeppchenweise
schnell wieder. Eine Weile ringt sie sichtlich mit sich.
„Weißt du Papa, wenn du zu dieser Selbsthilfegruppe gehst, zieh ich für die Vorstellung eine saubere Jeans an und pinsele mir sogar Farbe ins Gesicht. Helga hat mir einen wirklich hübschen Lippenstift geschenkt.“
Papa? Lippenstift?! Ich starre die beiden sprachlos an. Anschließend bohrt sich mein Blick in mein Telefon, nicht sicher, ob die SMS wirklich für mich bestimmt sein soll.
„Es tut mir leid, ich hätte mit dir reden sollen.
Gib mir bitte eine Chance. Du fehlst mir. Felix.“
Offenbar ist in meinem Leben doch mehr Spielraum für Überraschungen, als ich bislang angenommen habe.
Hat das bedauernswerte Paar sich entschlossen, seine Unabhängigkeit gegen Trauringe einzutauschen, gilt es, die Hochzeitsfeier so opulent wie möglich zu gestalten, damit man nicht auf die Idee kommt, einen Rückzieher zu machen. Bekanntlich steckt in jeder Braut ein kleines Mädchen, das als ersten Berufswunsch „Pinzesin“ oder mindestens „Aschnbuddel“ ins Schulheft gekritzelt hat. Gemeint ist bei Letzterem freilich nicht das Rußgeschwärzte am stiefmütterlichen Ofen, sondern das Tanzende im Ballsaal.
Ich hege gemischte Gefühle, als wir die schneeweiße Kiesauffahrt zum Schloss Warndorf hinauffahren. Gesäumt von alten Eichen. Zumindest glaube ich, es handelt sich um Eichen, denn ich habe keine Ahnung von Botanik. In meinem Magen liegt ein Ziegelstein, der natürlich weder von Neid noch von Selbstmitleid herrührt. Mein Unwohlsein hat auch nichts mit der SMS von Felix zu tun, die mich völlig aus der Spur geworfen hat. Mir ist einfach schlecht von der Autofahrt. Das hatte ich schon als Kind, als wir mit Bussen ins Pfadfinderlager gekarrt wurden. Julias Seufzen hilft mir genauso wenig wie der verzückte Aufschrei Brittas angesichts der blumenbehängten Kutsche, an der gerade zwei Rappen angeschirrt werden.
„Das ist doch lächerlich. Total klischeehaft“, murmele ich und wünschte, Louise wäre hier. Ihre scharfe Zunge wäre Balsam für meine Missgunst.
„Ich lieeebe Klischees!“
Britta hopst auf dem Fahrersitz auf und ab, während ich nach einem Behältnis schiele, in dem ich dezent meinen Mageninhalt parken kann. Meine Freundin ist eine grauenhafte Autofahrerin.
„Setz dich hin, sonst steuerst du das Auto in die Blumenrabatten, Himmel!“
Gegen den aufheulenden Motor habe ich mit meinem Gebrüll keine Chance. Kurz vor dem Rosenbeet reißt Britta das Steuer herum, Kiesschnee stiebt nach allen Seiten, Julia kreischt los. Mir ist jetzt wirklich schlecht – und zwar vor Angst. Das Bild des chromblitzenden Buskühlergrills stellt sich ganz von selbst ein. Ich presse die Hände auf mein Gesicht.
„Britta!“
Erst als meine Freundin den Wagen zum Stehen gebracht hat, spähe ich mit dem rechten Auge durch den Spalt zwischen Mittelfinger und Zeigefinger. Britta ist kalkweiß um die Nasenspitze. „Tut mir leid!“
„Geht es dir gut, Katta?!“ In Julias Stimme schwingt Panik mit. Ich hole tief Luft. Erstaunlicherweise ist mir nicht mehr übel. Die Furcht hat nur ein bisserl Herzklopfen und feuchte Handflächen dagelassen.
„Ich bin okay.“ Prüfend fasse ich mir in den Nacken und schiele zur Toreinfahrt.
Eine ältere Dame stakst über den Kiesweg auf uns zu, flankiert von einem weißblonden Anzugträger mit Sonnenbrille.
„Das ist bestimmt Frau Lohrisch!“
Julia springt aus dem Auto und eilt dem Paar entgegen, ganz Cateringchefin.
„Oh Gott. Margaret Thatcher und ihr Bodyguard. Fehlt bloß noch ein Rudel Westhighland Terrier!“ Brittas Gegacker verstummt sofort, als sie meinen erhobenen Finger sieht. Obwohl ich ihr Recht gebe: Das hier ist ziemlich viel Klischee für einen Nachmittag.
Die Thatcher und Julia wechseln einige Worte, Julia zeigt in unsere Richtung. Kurz darauf erscheint ein cremeglänzendes Gesicht am Beifahrerfenster. Eine Meisterleistung der Kosmetikerin, die schätzungsweise ein glattes Jahrzehnt von der Haut der Dame heruntergebügelt hat. Die Frau besitzt dieselben, durchdringenden Augen wie Louise von Stetten. Nur sind ihre dunkel und äußerst lebendig.
„Sie sind Frau Lehner?“
Der geschäftsmäßige Ton kann die Neugier in ihrer Stimme nur schwer übertünchen. Ich nicke vorsichtig. Man weiß nie, ob hinter einer harmlosen Begrüßung nicht eine Fangfrage steckt.
„Ich habe viel von Ihnen gehört, Katharina. Schön, sie persönlich kennen zu lernen. Und natürlich sind wir auf die legendären
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