Haertetest
hatten. Das Badezimmer sah infernalisch aus. Überall lag Zeug und Klopapier, weil Maja damit Luftschlangenwerfen gespielt hatte, während ich es gewagt hatte, unter die Dusche zu hüpfen. Ein paar Tampons hatte sie aus den Klarsichthüllen gepult, an den Wasserhahn gehängt und mehrere Slipeinlagen ans Fenster unseres Badezimmers gepappt. O Gott, hoffentlich sah niemand zu uns hoch! Unten klapperte die Zeitungsfrau am Briefkasten. Ich schaute kurz aus dem Fenster, während ich schnell die Slipeinlagen von der Scheibe zupfte.
Unser Haus war das letzte einer Reihenhausgasse. Kurz ließ ich meinen Blick über die herbstlichen Gärten am frühen Morgen schweifen, die im Nebel versanken, und versuchte, in Gedanken bis zehn zu zählen, um mich zu beruhigen. Schade, dass Maja mir schon bei zwei einen Tampon hinhielt und fragte: »Mama, was sind das für Zäpfchen?«
»Ähm, mein Schatz«, setzte ich an und kam ins Stocken, während sie mich mit ihren großen blauen Augen erwartungsvoll anschaute.
Zum Glück steckte in diesem Moment mein Mann Jonas seinen Kopf in unser alltägliches Badezimmerchaos, ignorierte es, und sagte: »Es wird heute Abend wieder spät, brauchst nicht auf mich zu warten. Tschüs, Prinzessin, ich liebe dich über alles!«
Letzteres sagte er nicht zu mir, sondern zu Maja, worauf sie die Tampons vergaß, zu ihm rannte, sich schluchzend gegen seine Beine warf und diese umklammerte. »Geh niss fort von mir!«
Wo sie das aufgeschnappt hatte, war mir ein Rätsel.
Dabei sah sie ihn mit dem herzzerreißendsten Wimpernklimpern an, das man sich vorstellen konnte. Ein absolutes Schauspieltalent, unsere Tochter. Ihr tränenverschleierter Blick erinnerte ein bisschen an Romy Schneider in Die Spaziergängerin von Sans-Souci, in dem diese wegen ihres kürzlich verstorbenen Sohnes fast Tränen vergießt und so unglaublich traurig ist, dass man allein deswegen weinen muss.
Wer könnte Maja da widerstehen? Jonas konnte es. Darin war er geübt. Immerhin kannte er mich schon seit sechs Jahren, und Maja war mir so ähnlich, dass manche sagten, ich hätte mich selbst geklont – irgendwie gruselig. Und außerdem totaler Quatsch. Ich konnte ja das »ch« sprechen – im Gegensatz zu meiner Tochter. Das Wimpernklimpern, gebe ich zu, kann sie vielleicht ein oder zwei Mal bei mir gesehen haben.
Mit Majas Klo-Zahnbürste in der einen und einem Handtuch in der anderen Hand stand ich immer noch nackt in unserem kleinen, verwüsteten Badezimmer und wartete darauf, dass ich erst mich, dann sie weiter anziehen konnte.
Ein Tag wie jeder andere – willkommen in meiner Welt! Ich bin Sophie Ahorn. Mein Leben ist toll! Nein, ich meine das nicht ironisch. Mein Leben ist wirklich toll. Ich bin seit fünf Jahren mit meinem Traummann verheiratet, wir haben eine wunderbare Tochter und sind alle gesund. Das war’s aber auch schon. Wenn Jonas, der vor einem halben Jahr vom Produktionsingenieur zum technischen Leiter eines Theaters in Hamburg befördert wurde, nicht siebzig Stunden die Woche arbeiten müsste und stattdessen öfter zu Hause wäre, wäre unser Leben noch einen winzigen Tick toller. Aber auch so war es schon total schön. Ehrlich. Er war halt gut in seinem Job, er betreute die Umsetzung und den Aufbau der Bühnenbilder, sein Herz hing am Theater, und das zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Und manchmal auch sonntags.
Und obwohl es mich tierisch stresste, ich ihn ständig vermisste und mich fragte, wofür wir eigentlich verheiratet waren, wenn wir uns nie sahen, spielte ich hier, dreißig Kilometer nördlich von Hamburg, die brave Vorstadtehefrau. Das hieß, ich hielt das Essen warm und das Haus halbwegs sauber, wusch unsere Klamotten und suchte händeringend nach einer Haushaltshilfe, weil mir die Wäscheberge zeitweise über den Kopf zu wachsen drohten. Dazu bemühte ich mich außerdem, unsere widerspenstige Tochter zu erziehen und gleichzeitig als Redakteurin bei einer Elternzeitschrift mit dem Namen Mütter zu arbeiten. Und das alles quasi alleinerziehend.
Heute musste Jonas ausnahmsweise mal nicht bis um zehn Uhr abends arbeiten. Stattdessen wurde sein freier und damit unser gemeinsamer Abend von seiner Band ruiniert. Wenn er auch sonst keine Hobbys hatte und sich rührend um seine Familie kümmerte, falls er mal gerade zu Hause war, blieb er doch seit zwanzig Jahren seiner Band namens No name known treu. Er war eben schon immer eine treue Seele, mein Jonas. Ab und zu trafen sich die
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