Hafen der Träume: Roman (German Edition)
hier?«
»Gefällt mir ganz gut. Das Leben in der Stadt ist ätzend.« Wieder setzte er die Flasche an den Mund und schüttete Cola in sich hinein. »Leute, die in der Stadt wohnen, sind völlig durchgeknallt.« Er grinste. »Wie Phil.«
»Du bist ein dummer Bauer, Seth. Ich mache mir wirklich Sorgen um dich.«
Seth schnaubte verächtlich und biss wieder in sein belegtes Brot. »Ich gehe lieber zum Anleger. Da treiben sich die Enten herum.«
Seth sprang nach draußen, die Hunde hinter ihm her.
»Seth hat über alles eine eindeutige Meinung«, kommentierte Phillip trocken. »Für einen zehnjährigen Jungen sieht die Welt wohl ziemlich schwarzweiß aus.«
»Er macht sich anscheinend nichts aus der Stadt.« Nur die reine Neugier gab Sybill die Kraft, ihre Nerven unter Kontrolle zu halten. »Hat er bei Ihnen in Baltimore gewohnt?«
»Nein. Er hat dort eine Zeit lang mit seiner Mutter gelebt.« Sybill bemerkte den düster gewordenen Klang seiner Stimme und hob eine Braue. »Das ist Teil der langen Geschichte, von der ich sprach.«
»Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich gesagt, dass ich sie gern hören würde.«
»Dann gehen Sie heute Abend mit mir essen, und wir erzählen uns unsere Lebensgeschichten.«
Sybill blickte zu den Ladetüren, durch die Seth nach draußen verschwunden war. Er benahm sich, als gehörte er schon immer hierher. Sie musste mehr Zeit mit dem Jungen verbringen. Ihn beobachten. Und es war wichtig, von den Quinns zu hören, wie sie die Situation
einschätzten. Warum also nicht gleich bei Phillip anfangen?
»Gut. Das würde ich gern.«
»Ich hole Sie um sieben Uhr ab.«
Sie schüttelte den Kopf. Es gab keinen Grund, Phillip zu misstrauen. Er war höflich und zuvorkommend. Aber sie wollte lieber kein Risiko eingehen. »Nein, wir treffen uns im Restaurant. Wo ist es?«
»Ich schreibe Ihnen die Adresse in meinem Büro auf. Dort können wir auch mit der Betriebsbesichtigung anfangen.«
Das war wirklich alles recht einfach, und was Sybill zu sehen bekam, war, wie sie zugeben musste, interessant. Der eigentliche Rundgang war schnell beendet. Außer der riesigen Arbeitshalle gab es nur Phillips beengtes Büro, ein kleines Bad und einen dunklen, verstaubten Abstellraum.
Selbst für ungeübte Augen war offensichtlich, dass das Herz und die Seele der Werft die große Halle war.
Ethan erklärte Sybill geduldig die Rundspant-Technik, die verschiedenen Bugformen und Kiellinien. Mit seiner klaren einfachen Sprache und der nicht nachlassenden Bereitschaft, auf alle ihre zweifellos naiven Fragen einzugehen, wäre er ein ausgezeichneter Lehrer, dachte Sybill.
Mit ehrlicher Faszination beobachtete sie, wie die Männer ein längliches Brett in eine Kammer schoben, Dampf zuführten und warteten, bis die Planke sich in die gewünschte Form bog. Dann demonstrierte Cam, wie die Falzkanten bearbeitet wurden, damit sich ein glatter Übergang ergab.
Als sie Cam und Seth zusammen arbeiten sah, musste Sybill sich eingestehen, dass zwischen beiden eine offenkundige Bindung bestand. Als unvoreingenommene Beobachterin hätte Sybill sie für Brüder halten können
oder für Vater und Sohn. Die Ähnlichkeit teilte sich über die Körperhaltung mit, das war unverkennbar.
Andererseits hatten sie Publikum und zeigten sich wahrscheinlich von ihrer besten Seite, überlegte Sybill weiter.
Es blieb abzuwarten, wie die Quinns sich benahmen, wenn sie sich an ihre Anwesenheit gewöhnt hatten.
Als Sybill das Werftgebäude verlassen hatte, stieß Cam einen lang gezogenen Pfiff aus. Er zog viel sagend die Brauen hoch und sah Phillip an. »Sehr hübsch, Bruderherz. Wirklich hübsch, die Kleine.«
Phillip verzog das Gesicht zu einem kurzen Grinsen und setzte die Wasserflasche an die Lippen. »Ich beklage mich nicht.«
»Bleibt sie lange genug in der Gegend, um … äh …?«
»So Gott will.«
Seth legte eine Schiffsplanke neben die Säge und schnaubte erbost: »Willst du damit sagen, dass du vorhast, sie zu bumsen, Mann? Ist das alles, woran ihr Typen denken könnt?«
»Du meinst, wenn wir nicht gerade damit beschäftigt sind, dir Vernunft einzuhämmern?« Phillip fegte Seth die Mütze vom Kopf und klapste damit auf seinen Scheitel. »Klar, woran denn sonst?«
»Und dann heiratet ihr die Frauen auch noch«, sagte Seth voller Abscheu und versuchte, seine Mütze zurückzuholen.
»Ich will sie nicht heiraten, sondern nur mit ihr essen, in einem gepflegten, netten Restaurant.«
»Und anschließend treibst du’s
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