Hafen der Träume: Roman (German Edition)
beendet ist.
Sybill lehnte sich zurück, trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte und überflog ihre Niederschrift. Das Ergebnis war erbärmlich, dachte sie. Armselig. Und sie selbst trug daran die Schuld. Sie hatte geglaubt, sie wäre auf diese erste Begegnung vorbereitet, doch das erwies sich als Irrtum.
Nach dem Treffen mit Seth hatte sich ihre Zunge trocken angefühlt, und sie war deprimiert. Der Junge war ihr Neffe, ein Teil ihrer Familie. Dennoch waren sie wie Fremde füreinander. Trug sie nicht ebenso die Verantwortung dafür wie Gloria? Hatte sie jemals versucht, eine Verbindung herzustellen, ihn in ihr Leben zu integrieren?
Sicher, sie hatte fast nie gewusst, wo er sich aufhielt. Aber hatte sie Anstrengungen unternommen, ihn oder ihre Schwester zu finden?
Die wenigen Male, die Gloria sich in all den Jahren bei ihr meldete, war es immer wegen Geld gewesen, und immer hatte Sybill auch nach Seth gefragt. Aber sie hatte Glorias Aussage, dem Jungen gehe es gut, stets hingenommen. Hatte sie Seth ein einziges Mal am Telefon verlangt oder gefragt, wann sie ihn sehen könnte?
War es nicht leichter gewesen, Geld zu schicken und die beiden dann wieder zu vergessen?
Ja, das war es, zugegeben. Denn das eine Mal, als sie Seth hereingelassen hatte, in ihr Zuhause und ihr Herz, wurde er ihr wieder entrissen. Und sie hatte furchtbar gelitten.
Dieses Mal würde sie etwas unternehmen. Sie würde tun, was immer für ihn am besten war. Ihre Gefühle jedoch würde sie im Zaum halten. Schließlich war Seth nicht ihr Kind. Wenn Gloria das Sorgerecht zurückgewann, würde der Junge erneut aus ihrem Leben verschwinden.
Aber für die Gewissheit, dass Seth gut aufgehoben war, würde sie weder Zeit noch Mühe scheuen. Dann konnte sie zu ihrem Leben und zu ihrer Arbeit zurückkehren.
Zufrieden speicherte Sybill das Dokument ab und wechselte in eine andere Datei, um weiter an ihren Notizen für das Buch zu arbeiten. Bevor sie anfangen konnte, klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.
»Dr. Griffin.«
»Sybill. Es hat mich viel Zeit und Mühe gekostet, deinen Aufenthaltsort herauszufinden.«
»Mutter.« Mit einem langen Seufzer schloss Sybill die Augen. »Hallo.«
»Würdest du mir bitte sagen, was du vorhast?«
»Aber gern. Ich recherchiere für ein neues Buch. Wie geht es dir? Und wie geht es Vater?«
»Bitte beleidige meine Intelligenz nicht. Wir waren übereingekommen, dass du dich aus dieser miesen kleinen Angelegenheit heraushältst.«
»Nein.« Wie immer bei familiären Auseinandersetzungen spürte Sybill einen Stich im Magen. »Wir sind übereingekommen, dass du willst, dass ich mich heraushalte. Ich dagegen habe entschieden, mich nicht herauszuhalten. Ich habe Seth gesehen.«
»Ich interessiere mich nicht für Gloria und auch nicht für ihren Sohn.«
»Ich schon. Und es tut mir Leid, dass du dich deswegen aufregst.«
»Soll ich mich etwa nicht aufregen? Deine Schwester hat selbst gewählt, wie sie leben will, und ihr Leben hat mit meinem nichts mehr zu tun. Ich lasse mich in diese Sache nicht hineinziehen.«
»Ich habe nicht die Absicht, dich in irgendetwas hineinzuziehen.« Resigniert griff Sybill in ihre Handtasche und suchte die kleine Emaildose, in der sie ihre Aspirintabletten aufbewahrte. »Niemand weiß, wer ich bin. Selbst wenn mich jemand mit Dr. Walter Griffin und Mrs. Barbara Griffin in Verbindung bringt, gibt es keinen Hinweis auf Gloria und Seth DeLauter.«
»Wenn jemand wirklich Interesse daran hat, lässt sich die Spur leicht weiterverfolgen. Du erreichst überhaupt nichts, wenn du dort bleibst und dich weiter in die Sache einmischst, Sybill. Ich möchte, dass du abreist. Kehr nach New York zurück, oder komm zu uns nach Paris. Wenn du auf mich nicht hören willst, kann dein Vater dich vielleicht überzeugen.«
Sybill spülte die Aspirintablette mit Wasser herunter und drückte das Mittel gegen Magenübersäuerung aus der Folie. »Ich bin fest entschlossen, diese Sache zu Ende zu bringen. Tut mir Leid.«
Es entstand eine lange Pause, aufgeladen mit Zorn und Frustration. Sybill schloss die Augen und wartete.
»Du warst immer eine Quelle der Freude für mich. Nie hätte ich geglaubt, dass du zu einem derartigen Verrat fähig wärst. Ich bedaure sehr, dich in diese Angelegenheit eingeweiht zu haben. Wenn ich gewusst hätte, wie abscheulich du reagierst, hätte ich geschwiegen.«
»Er ist ein zehnjähriger Junge, Mutter. Und dein Enkel.«
»Er hat nichts mit mir zu tun. Und mit dir
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