Hafen der Träume: Roman (German Edition)
einem Jahr noch hatte Seth nicht geglaubt, sein Leben würde jemals anders verlaufen. Dann war Ray gekommen und hatte ihn in das Haus am Wasser gebracht. Ray hatte ihm eine andere Welt gezeigt und versprochen, dass Seth nie in seine alte Umgebung zurückkehren müsse.
Ray war gestorben, aber sein Versprechen hatte er trotzdem gehalten. Jetzt konnte Seth auf dem großen Grundstück am Ufer der Bay leben, die Hunde hinter Bällen und Stöcken herjagen lassen und dazu das Lachen eines kleinen Mädchen mit Engelsgesicht hören.
»Seth, lass mich!« Aubrey hüpfte auf ihren stämmigen kleinen Beinen und streckte beide Hände nach dem zerbeulten Ball aus.
»Okay, dann wirf du.«
Seth grinste, als Aubrey ihr Gesicht vor Konzentration und Anstrengung verzog. Der Ball traf wenige Zentimeter vor ihren Füßen auf, die in leuchtend roten Freizeitschuhen steckten. Simon schnappte ihn, und sie kreischte vor Vergnügen. Dann brachte der Hund den Ball höflich zurück.
»Ooh, guuter Hund.« Aubrey streichelte dem geduldigen Simon die Schnauze. Aufmerksamkeit heischend, drängte sich Foolish dazwischen, und Aubrey purzelte auf ihr Hinterteil. Sie belohnte ihn mit einer leidenschaftlichen Umarmung. »Jetzt du«, befahl sie Seth. »Du wirfst.«
Seth gehorchte ihr und schleuderte den Ball. Er lachte, als die beiden Hunde hinterherrannten und zusammenprallten wie zwei Footballspieler. Sie rappelten sich wieder hoch, krachten durchs Unterholz in den Wald
und scheuchten ein paar Vögel auf, die kreischend davonflatterten.
Aubrey kugelte sich vor Lachen, die Hunde bellten, und Seth spürte die klare Septemberluft auf seinen Wangen. Er war vollkommen glücklich. Mit einem Teil seines Bewusstseins nahm er diesen Augenblick wahr und hielt ihn fest. Der Winkel, mit dem Sonnenstrahlen einfielen, das helle Glitzern der leicht bewegten Wasserfläche, der weiche, vom Küchenfenster herüberwehende Sound von Otis Redding, die wütenden Protestschreie der Vögel und der kräftige Salzgeruch von der Bay.
Er war zu Hause.
Dann weckte das tuckernde Motorengeräusch seine Aufmerksamkeit. Als Seth sich umwandte, sah er das vertraute Familiensegelboot, das dem Anleger zusteuerte. Am Steuer stand Phillip und hob grüßend die Hand. Noch während Seth zurückwinkte, wanderte sein Blick zu der Frau neben Phillip. Ihm war, als würde etwas seinen Nacken streifen, leicht und kribbelnd wie Spinnenbeine. Geistesabwesend rieb er sich an der Stelle, zuckte dann mit den Schultern und nahm Aubrey fest bei der Hand.
»Denk daran, du musst immer in der Mitte auf dem Steg bleiben.«
Aubrey sah bewundernd zu Seth auf. »Okay. Mach ich. Mama sagt, ich soll nie, nie allein zum Wasser gehen.«
»Das ist richtig.« Seth betrat mit Aubrey den Anleger und wartete auf Phillip. Unbeholfen warf die Frau die Bugleine aus. Seth wusste nur noch, dass sie Sybill hieß. Für einen Moment, als sie auf dem schwankenden Boot das Gleichgewicht suchte, begegneten sich ihre Augen, und wieder spürte Seth das Kitzeln im Nacken.
Dann stürmten die Hunde auf den Steg, und Aubrey lachte schon wieder.
»Hallo, mein kleiner Engel.« Phillip half Sybill aus dem Boot, dann blinzelte er zu Aubrey herunter.
»Auf den Arm«, bettelte sie.
»Klare Sache.« Er schwang sie auf seine Hüfte und gab ihr einen schmatzenden Kuss auf die Wange. »Wann bist du endlich groß genug, um mich zu heiraten?«
»Morgen!«
»Das sagst du immer. Sieh her, das ist Sybill. Sybill, darf ich dir Aubrey, mein liebstes Mädchen, vorstellen?«
»Sie ist hübsch«, stellte Aubrey fest und ließ ihre Grübchen spielen.
»Danke. Du auch.« Als die Hunde gegen ihre Beine stießen, fuhr Sybill zusammen und wich nach hinten aus. Phillip streckte den Arm aus, um sie festzuhalten, bevor sie hintenüber ins Wasser fiel.
»Ruhig. Seth, ruf die Hunde zurück. Sybill fühlt sich in ihrer Nähe etwas unwohl.«
»Sie tun Ihnen doch nichts.« Seth schüttelte den Kopf – eine Geste, die Sybill zeigte, dass sie soeben in seiner Wertschätzung einige Punkte verloren hatte. Aber er packte die beiden Hunde am Halsband und hielt sie zurück, bis Sybill vorsichtig vorbeigegangen war.
»Alle zu Hause?« fragte Phillip.
»Ja, sie hängen herum und warten auf das Essen. Grace hat einen riesigen Schokoladenkuchen mitgebracht. Und Cam hat Anna überredet, Lasagne zu machen.«
»Gott segne ihn. Die Lasagne von meiner Schwägerin ist ein wahres Kunstwerk«, erklärte er Sybill.
»Da gerade von Kunst die Rede ist, Seth. Ich
Weitere Kostenlose Bücher