Hafenmord - ein Rügen-Krimi
Blick wanderte von Romy zu Kasper und wieder zurück zu Romy, um dann einen Moment an deren Lederjacke hängen zu bleiben. Es wurde still.
»Polizei?«, fragte sie dann und ließ das Fragezeichen nur langsam ausklingen.
»Ja«, sagte Romy und stellte sich und Kasper vor. »Dürfen wir hereinkommen?«
Vera Richardt hielt die Klinke umfasst. »Haben Sie schlechte Nachrichten?«
»Wir sollten nicht zwischen Tür und Angel darüber sprechen«, entgegnete Romy.
Vera Richardts Miene versteinerte sich. Sie nickte, trat beiseite und führte sie schließlich durch eine großzügig angelegte Diele, in der ein großformatiges Naturaquarell merkwürdig deplatziert neben der Garderobe hing, in eine Stube mit bequemen und schreiend bunten Sitzmöbeln. Dem verstreuten Spielzeug nach zu urteilen, wurde der Raum vornehmlich als Kinderzimmer genutzt.
Romy setzte sich auf einen giftgrünen Stuhl und berichtete, dass die Polizei nach einem anonymen Anruf am Abend in den Sassnitzer Hafen gefahren war.
»Wir sind sicher, dass wir dort Ihren Mann gefunden haben«, fügte sie hinzu und ließ Vera Richardt nicht aus den Augen.
»Wie? Was für ein anonymer Anruf?«, fragte sie perplex.
»Jemand informierte uns darüber, dass Ihr Mann in einemder alten Gebäude hinter der Fischfabrik zu finden sei. Die Polizei entdeckte ihn dann im Keller einer Werkstatt, die er gemeinsam mit Thomas Bittner benutzte«, entgegnete Romy. Die Frage irritierte sie.
Vera Richardt biss sich auf die Unterlippe und begann ihre Finger zu kneten.
»Wir konnten nichts mehr für ihn tun«, sagte Romy schließlich. »Es tut uns leid.«
Die Witwe atmete tief durch und hob plötzlich das Kinn. »Nun sagen Sie schon: Was ist passiert?«
Sie will es hinter sich haben, dachte Romy. Verständlich.
»Im Moment gehen wir davon aus, dass Ihr Mann dort überfallen und niedergeschlagen wurde«, erörterte sie leise. »Er erlag wahrscheinlich heute Morgen seinen tödlichen Verletzungen. Die genauen Einzelheiten erfahren wir jedoch erst nach der rechtsmedizinischen Untersuchung.«
»Aber …?« Vera Richardt schüttelte den Kopf und starrte zum Fenster hinaus.
»Frau Richardt, können wir Ihnen einige Fragen stellen? Für unsere Ermittlungen ist es immens wichtig …«
Sie stand abrupt auf und setzte sich ebenso plötzlich wieder. »Ja, ja, natürlich … fragen Sie. Fragen Sie ruhig. Ich werde antworten, so gut ich kann.«
»Danke für Ihr Verständnis. Wir sind sicher, dass wir Ihren Mann gefunden haben – Thomas Bittner hat ihn nach einem Foto vom Tatort bereits identifiziert«, erklärte Romy. »Dennoch: Wäre es Ihnen möglich, einen kurzen Blick auf die Aufnahme zu werfen und ihn morgen persönlich zu identifizieren?«
Die Kommissarin sah ihren Kollegen auffordernd von der Seite an und wandte sich dann wieder der Frau des Opfers zu, während Kasper Schneider das Foto aus seiner Tasche zog. Vera Richardt reckte den Hals und betrachtete es nur flüchtig. Sie zwinkerte, nickte und sah rasch wieder zur Seite.
»Ja. Natürlich. Das ist er«, betonte sie mit rauer Stimme. »Eindeutig – dazu muss ich ihn nicht mehr sehen …«
»Ich fürchte, schon, Frau Richardt. Er sollte zusätzlich von einem nahen Angehörigen identifiziert werden«, erklärte Kasper ruhig.
Die Frau schüttelte heftig den Kopf. »Auf keinen Fall! Das kann ich nicht, und außerdem kann mich niemand dazu zwingen …«
»Lassen wir das Thema im Augenblick beiseite«, unterbrach Romy sie kurzerhand. »Ihr Mann ist gestern früh mit seinem Fahrrad losgefahren. Allem Anschein nach hatte er eine längere Trainingstour vor. Am Nachmittag haben Sie sich bei der Polizei gemeldet.«
Vera Richardt strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, das plötzlich weich und verträumt wirkte. »Ja, er war manchmal stundenlang unterwegs. Das war nichts Ungewöhnliches. Am Vormittag bin ich zunehmend unruhiger geworden, weil ich ihn zurückerwartete. Aber ich konnte ihn nicht erreichen. Das Handy war ausgestellt, und im Geschäft in Bergen war er auch nicht – manchmal radelt er dort noch vorbei, um nach der Post zu sehen.«
»Haben Sie mit Freunden telefoniert und nachgefragt?«
Ein verblüffter Blick streifte Romy. »Nein.«
»Warum nicht?«
Vera zog die Achseln hoch und ließ sich Zeit mit der Antwort. »Kai schätzte es nicht, wenn ich ihm hinterhertelefonierte – schon gar nicht beim Training. Eine Stunde mehr oder weniger spielte keine Rolle. Sollte keine Rolle spielen. Durfte keine Rolle spielen.
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