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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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Fingerspitzen
der Menschen zu lesen
    Laura
sah, daß sich unter den Zuschauern Langeweile breit machte. Nur Kommissar
Biddling und seine Frau tauschten einen Blick, als teilten sie ein kleines
Geheimnis miteinander, an das sie sich gerade erinnerten.
    Flora
setzte das Hündchen in ihren Fahrradkorb. »Du mußt brav sein, Malvida. Und
stillsitzen!« Sie schob das Rad aus dem Hof, stieg auf und drapierte ihr Kleid
über die Schutzvorrichtung. Dann zog sie den Handhebel und fuhr los. Die Sonne
brannte, und recht bald wurde es ihr zu warm.
    »Was
meinst du, Malvida? Sollen wir einen schattigeren Weg wählen?« Das Hündchen
bellte, und lachend bog Flora in ein winkliges Gäßchen ab. Zwei Jungen in
geflickten Hosen riefen ihr etwas hinterher, doch sie kümmerte sich nicht
darum. Irgendwann kam sie am Rathaus vorbei, aber es war nicht die Seite, die
sie kannte. Sie passierte einen Bretterzaun und fand sich in einem Trümmerfeld
wieder. Wo waren die Häuser? Ein Mann winkte ihr zu. Sie sah zu ihm hin, fuhr
in ein Schlagloch und stürzte. Malvida sprang jaulend aus dem Korb, Flora rieb
sich ihr Knie. Der Mann kam zu ihr. Er hatte ein schmutziges Gesicht und wirres
Haar. Seine Kleider rochen schlecht. Sie hatte plötzlich riesige Angst.
    »Dr.
Popp, darf ich Sie bitten, langsam zur Sache zu kommen?« mahnte der Richter und
wischte sich mit einem Tuch über das Gesicht. Obwohl die Fenster offenstanden,
war die Hitze im Saal erdrückend.
    »Also,
das Papillarlinienmuster des sichergestellten Fingerabdrucks weist folgende
Termini auf...« Dr. Popp bemerkte die Verwirrung in den Mienen der Geschworenen
und lächelte. »Schauen Sie einfach die Linien auf Ihren Fingern an! Sie sehen
entweder das Muster eines Wirbels oder eines Lassos.« Auch die Zuschauer,
Richter und Staatsanwalt folgten seiner Aufforderung. Anhand der Photographien
erklärte er die verschiedenen Merkmale und wies schließlich elf
Übereinstimmungen zwischen der Spur auf Lichtensteins Hemdkragen und dem
rechten Ringfinger von Groß nach.
    »Das
ist doch alles Zufall!« wandte der Verteidiger von Groß ein. »Allein durch das
unterschiedlich feste Abdrücken der Finger entstehen jedes Mal andere Muster.«
    Dr.
Popp zuckte die Schultern. »Ich könnte Ihr Argument durch eine umfassende
Darlegung wissenschaftlicher Studien widerlegen, Herr Dr. Stulz. In Anbetracht
der Hitze halte ich es jedoch für opportun, eine anschaulichere Variante zu
wählen.«
    Er sah
den Richter an. »Ich bitte um etwas Stempelfarbe und die Erlaubnis, den Saal
für fünf Minuten verlassen zu dürfen. Während dieser Zeit mögen die Herren
Geschworenen jeweils ihren rechten Ringfinger schwärzen und in verschiedenen Varianten
auf numerierte Papierbögen drücken. Ich werde anschließend jede Nummer der
richtigen Person zuordnen.«
    Von den
Zuschauerbänken war überraschtes Gemurmel zu hören. Der Vorsitzende beriet sich
mit seinen Beisitzern und stimmte dem Vorschlag zu. Als Dr. Popp wieder in den
Saal kam, war von Langeweile nichts mehr zu spüren. Gespannt verfolgten die
Anwesenden, wie er zunächst von jedem Geschworenen einen zusätzlichen Abdruck
abnahm, den er mit Namen versah. Es dauerte keine zehn Minuten, bis er alle Nummern
zugeordnet hatte.
    »Haben
Sie weitere Fragen, Herr Verteidiger?« wollte der Vorsitzende wissen. Dr.
Stulz zuckte resigniert die Schultern.
    »Ich
habe den Lichtenstein nicht angefaßt!« rief Groß von der Anklagebank. Die
Zuschauer lachten.
    Ein Gerichtsdiener
kam herein und gab Kommissar Biddling ein Zeichen. Die halbe Reihe mußte
aufstehen, um ihn hinauszulassen. Kurz darauf unterbrach der Richter die
Sitzung zum Mittag.
    Laura
sah Richard Biddling mit einem Dienstmädchen in einem der Lichthöfe stehen.
Seine Frau, Gräfin Tennitz und Paul Heusohn gingen zu ihnen hin, Heiner Braun
und Laura schlossen sich an. Das Mädchen weinte. »Ich kann wirklich nichts
dafür, gnädiger Herr!«
    »Tessa!
Was ist los?« fragte Victoria Biddling.
    »Flora
ist mit ihrem Fahrrad fort. Und den Hund hat sie auch mitgenommen«, schluchzte
das Mädchen.
    »Wann
hast du sie zuletzt gesehen?« fragte Biddling. Sein Gesicht war kalkweiß.
    »Vielleicht
vor einer Stunde?«
    »Hat
sie bestimmte Plätze, die sie besonders mag?« fragte Heiner.
    »Den
Zoologischen Garten«, sagte Victoria. »Und sie hat mehrfach gefragt, wann wir
Sie endlich besuchen. Sie wollte Ihnen ihren Hund zeigen. Aber immer kam etwas
dazwischen.«
    »Wir
müssen sie sofort suchen!« sagte Richard

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