Hahn, Nikola
Geldscheine aus der Tischschublade. »Fünfzig Mark fehlen. Aber
die hätte Ihr Schwager ohnehin nicht wiedergesehen.«
»Braun!
Sie haben...?«
»Er
hätte keinen Ton gesagt, wenn ich ihn festgenommen
hätte.
Und wenn er einen Ton gesagt hätte, wäre das für Ihren Schwager unter Umständen
ziemlich unangenehm geworden. Somit ist es für alle Beteiligten das beste, wie
es ist, hm?«
»Warum
Sie Beamter geworden sind, wissen die Götter.«
Heiner zuckte
die Schultern. »Sepp hat mir bestätigt, daß Fritz Wennecke eine Vorliebe für
kleine Mädchen hatte. Allerdings war er auch sonst kein Kostverächter. Käthe
Heusohn... nun, Sie wissen.«
»Hat er
auch was zu Pauls Vater gesagt? Ist es am Ende Wennecke?«
»Dann
müßte Käthe ihn vor Eckhard Heusohn gekannt haben. Das halte ich für
unwahrscheinlich. Haben Sie etwas über eine mögliche Verbindung zwischen Hopf
und Wennecke herausbekommen?«
Richard
stand auf. »Nein, nichts.«
»Was hat
Sie heute so erschreckt im Gericht?« fragte Heiner. »Das war mehr als die Sorge
um Flora, oder?«
Richard
sah aus dem Fenster. 'Totengräbers Tochter sah ich gehen...»
»Bitte?«
»Ich
habe anonyme Briefe bekommen.«
»Welcher
Art?«
Richard
gab den Wortlaut wieder, soweit er ihn in Erinnerung hatte.
»Das
muß nichts mit Ihrer Tochter zu tun haben«, sagte Heiner.
»Herrgott!
Ich weiß nicht, womit es zu tun hat oder nicht.«
»Sie
glauben, daß es mit den Briefen zusammenhängt, die Sie vor drei Jahren
erhielten?«
Er
nickte. »Ich hoffte, die Reise nach Berlin würde mir helfen, Abstand zu
gewinnen. Es hat nicht lange vorgehalten.«
»Ich
sehe keinen Bezug zu der alten Sache«, sagte Heiner.
»Ich
bin sicher, es gibt einen. Auch wenn ich ihn nicht begreife.«
»Sie
sollten endlich mit Victoria darüber reden. Sie macht sich Sorgen um Sie.«
»War
sie hier und hat sich über mich ausgelassen?«
»Sie
wollen ihr nicht eingestehen, daß Sie der Tod von Eduard Könitz nicht losläßt,
nicht wahr?«
Richard
umkrampfte die Stuhllehne. »Ich will, daß dieses unselige Gespenst endlich aus
unserem Leben verschwindet! Victoria hat sich genug Vorwürfe gemacht!
Jahrelang hatte sie schlimme Träume deswegen. Und ich auch. Aber es war vorbei
und vergessen. Bis diese elenden Briefe kamen.« Er fuhr sich übers Gesicht. »Es
ist, als erzählte jemand eine Geschichte, die ich kenne, aber nicht verstehe.
Und dann wiederum denke ich, es kann nicht sein! Warum jetzt? Warum nach all
den Jahren? Bitte, ich kann das Victoria nicht sagen.«
Heiner
legte ihm die Hand auf den Arm. »Es ist ja schon ein Fortschritt, daß Sie es
mir erzählt haben. Bei Gelegenheit bringen Sie die Korrespondenz vorbei, und
wir schauen sie uns gemeinsam an. Vielleicht ist das Gespenst schneller
vertrieben, als Sie glauben. Und jetzt hole ich uns einen Apfelwein.«
Laura
saß auf ihrem Bett, das leere Photoalbum auf den Knien. Im Notfall traten
wir den Rückzug über das Kanalnetz an. Sie schlug die Hände vors Gesicht
und weinte.
Kapitel
19
Zweites Morgenblatt
Donnerstag , 19. Mai 1904
Frankfurter
Zeitung und Handelsblatt
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=Frankfurt,
18. Mai
Groß
und Stafforst vor dem Schwurgericht.
Das
Urteil.
Um 6
Uhr 25 Minuten ziehen sich die Geschworenen ins Beratungszimmer zurück. Um 6
Uhr 55 erscheinen sie wieder, und auf Ehre und Gewissen verkündet ihr Obmann
den Wahrspruch. Groß und Stafforst werden hereingerufen, der Wahrspruch wird
ihnen vorgelesen. Auf die Frage, ob sie noch etwas zu sagen haben, schweigen
beide Angeklagte. Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück, und um 7 Uhr
10 Minuten fordert Landgerichtsdirektor Fleischmann die beiden Angeklagten
auf, sich zu erheben, um das Urteil zu vernehmen.
A uf den Zuhörerbänken war es so still, daß man eine Stecknadel
hätte fallen hören
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