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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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mit
der Wirklichkeit übereinstimmten. Die in einem Reiseführer als Prachtboulevard
gerühmte Kaiserstraße sah im Regen jedenfalls reichlich trist aus.
    Das
Trottoir war voller Menschen, die in Gruppen zusammenstanden und
durcheinanderredeten. Und dazwischen immer wieder Polizei. Irgend etwas stimmte
nicht! Laura wich auf die Fahrbahn aus, um schneller voranzukommen. Als sie den
Roßmarkt erreichte, hörte es auf zu regnen. Sie überlegte, ob noch Zeit war,
sich das Gutenberg-Denkmal anzuschauen, als ein Automobil an ihr
vorbeiknatterte und sie von oben bis unten naß spritzte. Konnte dieser dumme
Mensch nicht aufpassen, wohin er fuhr? Vergeblich versuchte sie, mit einem Taschentuch
die Flecken aus ihrem Wollmantel herauszureiben. Ein Antrittsbesuch in
schmutziger Garderobe! Ihre Mutter würde in Ohnmacht fallen, wenn sie es sähe.
    Der
Gedanke an zu Hause schmerzte. Es gab Dinge, die für eine junge Dame viel
verderblicher waren als ohne Begleitung zu reisen und das Gepäck selbst zu
tragen: einen Beruf zu erlernen, dem jüdischen Glauben abzuschwören und mit
achtundzwanzig ledig zu sein. Laura steckte das Taschentuch weg und ging weiter.
Sie hatte sich all das bestimmt nicht erkämpft, um vor ein paar Wasserflecken
zu kapitulieren! Rechts vor ihr tauchte der Turm der Katharinenkirche auf. Als
sie näher kam, sah sie vor dem Portal und dem Eingang des danebenliegenden
Hauses eine Menschenmenge. Mehrere Schutzleute bemühten sich, sie
auseinanderzutreiben.
    »Machen
Sie Platz!« rief einer von ihnen, als sich zwei Männer in Zivil näherten. Sie
trugen dunkelgraue Tuchmäntel und schwarze Hüte. Der jüngere, ein
grobschlächtig wirkender Mensch, stieß die Leute fluchend beiseite, um sich
einen Weg zu bahnen, der ältere, der ihn fast um Haupteslänge überragte, folgte
wortlos. Keine Frage: Irgend etwas mußte in diesem Haus geschehen sein. Ob das
der Grund war, den Bahnhof unter Bewachung zu stellen? Die Uhr an der
Katharinenkirche schlug zur vollen Stunde und erinnerte Laura daran, daß Polizeirat
Franck sie erwartete.
    Sie
erreichte die Neue Zeil 60 zehn Minuten vor der Zeit. Das Polizeipräsidium der
Stadt Frankfurt war ein dreistöckiger Bau im Stil der deutschen Renaissance
und, wie Laura wußte, erst achtzehn Jahre alt. So imponierend das Gebäude von
außen wirkte, so zweckmäßig bot es sich dem Besucher von innen dar: die Flure
mit schlichten Deckenwölbungen versehen, die Treppen aus Eisen gefertigt. In
der Polizeiwache im Erdgeschoß fragte sie nach dem Büro von Herrn Polizeirat
Franck.
    Die
beiden Beamten musterten sie ungeniert. Was sie sahen, schien ihnen nicht zu
gefallen. »Herr Polizeirat Franck empfängt in seinem Büro keinen Damenbesuch«,
sagte der ältere. »Und schon gar nicht ohne vorherige Anmeldung!«
    Laura
erwiderte seinen Blick ohne Scheu. »Woher, bitte, wollen Sie wissen, daß ich
nicht angemeldet bin?« Sie zog ein Schriftstück aus ihrem Mantel und gab es
ihm.
    Er las
sorgfältig. »Oh, das... Ich bitte höflichst um Verzeihung, Fräulein Rothe. Ich
konnte ja nicht ahnen...«
    »Dürfte
ich nun endlich erfahren, wo ich das Büro von Herrn Franck finde?« wiederholte
Laura schärfer als beabsichtigt.
    »Erster
Stock, rechts. Es steht angeschrieben. Aber Sie werden kein Glück haben.
Er...«
    »Danke!«
sagte Laura und ging.
    Sie war
kaum aus der Tür, als der jüngere Beamte losplatzte: »Ist sie das?«
    »Sieht
so aus.«
    »Na,
das wird lustig werden.«
    Der
ältere zuckte mit den Schultern. »Was interessiert's mich? Solange sie uns
nicht in die Parade fährt, ist es mir herzlich egal, ob sie Haare auf den
Zähnen hat oder nicht.«
    »Die
war' das erste Weibsbild, mit dem der Heynel nicht fertig wird«, sagte der
jüngere grinsend.
    Es gab
keinen Grund, anzunehmen, daß Kommissar Biddling in der nächsten Zeit ins
Präsidium zurückkehrte. Dennoch wartete Heiner Braun bis kurz nach drei Uhr,
bevor er sich entschloß, zu gehen. Ein letztes Mal betrachtete er das nüchtern
eingerichtete Büro: Biddlings Schreibtisch mit Federkasten, Tintenfäßchen,
Stempeln und Akten darauf, sein eigenes leergeräumtes Stehpult am Fenster, den
alten Aktenschrank, den Tisch mit der neuen Schreibmaschine. Eine Underwood
mit Radschaltung, sichtbarer Schrift und Tabulator, wie der Kommissar
Besuchern gern erläuterte.
    Heiner
erinnerte sich an seinen ersten Tag als blutjunger Polizeidiener im
Polizeicorps der damals noch Freien Stadt Frankfurt und daran, wie stolz er
nach der Ernennung zum

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