Hahnemanns Frau
Poststation würde sie jedenfalls nicht mehr essen und dieses schreckliche Zimmer so lange meiden wie nur irgend möglich.
Später mietete sie sich ein Pferd und ritt über die Brücke auf die andere Seite der Mosel und dort den Hang hinauf. Von hier oben hatte sie eine wunderbare Aussicht über die Stadt und das Hinterland. Sie nahm ihr Reisetagebuch, fertigte einige Skizzen an und schrieb ihre Eindrücke hinein. Dann legte sie sich zurück und genoß die letzten Stunden des warmen Herbstnachmittages.
Der Überfall
Der Wald lichtete sich. Nur noch vereinzelt standen buntbelaubte Buchen neben verkrüppelten Fichten oder hochgewachsenen Tannen. Zuvor hatte es nach feuchtem Moos, Pilzen und verrottetem Holz gerochen, doch plötzlich trug ihnen der Wind einen Duft von aufgeworfener Erde und faulenden Holzäpfeln entgegen. Kein unangenehmer Geruch. Schwer und süßlich, ein Herbstgeruch, der Mélanie etwas melancholisch werden ließ.
Sie lehnte sich in der Kutsche zurück. Daß sie endlich die Anhöhen des Thüringer Waldes hinter sich gelassen hatten, ließ sie erleichtert aufseufzen. Zwei Wochen war sie nun schon unterwegs, und die Reise war mehr als beschwerlich gewesen. Kälte, Regen, dazu die unnötig langen Aufenthalte an den Poststationen, damit man gezwungen war, Geld auszugeben. Schlechtes Essen, schmutzige Zimmer, und immer wieder hatte man das Postgut nicht nur im hinteren Teil des Wagens, sondern bis unter die Sitze gestapelt, von wo aus es den Passagieren zwischen die Füße rutschte. Sie hatten zwei Radbrüche gehabt und wären beinahe in einen Überfall geraten, der nur vereitelt werden konnte, weil ihnen zufällig eine Gruppe von Reitern entgegenkam. Einem der Mitreisenden wurde an einer der Poststationen eine Tasche gestohlen, und mehrmals hatten sie und die anderen Passagiere aussteigen und die Kutsche aus dem Morast schieben müssen.
Nur in Frankfurt war alles zu Mélanies Zufriedenheit gewesen. Dort war sie im Englischen Hof am Roßmarkt abgestiegen und hatte in einem wunderschönen Zimmer mit einem frisch bezogenen Bett geschlafen und zum ersten Mal seit langem wieder à la carte gegessen.
Nun lagen noch einmal zwei oder drei Tagesreisen vor ihr, bis sie bei Dr. Hahnemann ankommen würde. Mélanie war erschöpft. Sie hatte geplant, von Köthen aus Richtung Süden weiterzureisen – vielleicht nach Wien oder Budapest oder sogar bis Italien. Aber die Lust dazu war ihr fürs erste vergangen.
Es dauerte nicht mehr lange, und die Kutsche erreichte Erfurt, wo die Reisenden die kommende Nacht verbringen würden. Nach dem langen Durchqueren des finsteren Waldes und den geradezu unheimlichen Unterkünften der letzten Tage, genoß sie es, daß sich diese Stadt so hell, freundlich und gesellig zeigte.
Mélanie sehnte sich nach etwas Besserem als einer Poststation, gleichgültig, wie immer sie auch aussehen mochte. Sie wollte einmal wieder in einem guten Haus absteigen und war bereit, die Mühe auf sich zu nehmen, nach einem entsprechenden Quartier zu suchen. Sie fragte den Kutscher, ob er ihr etwas empfehlen konnte, und der sagte, sie solle sich zum Roten Ochsen bringen lassen. Sie fand auch gleich einen Träger, der ihr das Gepäck hinkarrte.
Froh, sich strecken und ein paar Schritte gehen zu können, folgte sie dem Mann und besah sich dabei die Häuser und Gassen der Stadt. Auch die Frauen, die unter der Brücke am ›Breitstrom‹ Wasser schöpften, um damit einen Trog zu säubern, erweckten ihr Interesse. Nur den Mann, der unter den Schaulustigen an der Poststation gewesen war und sie seitdem verfolgte, nahm sie nicht wahr.
Das Gasthaus Zum roten Ochsen befand sich in einem reich geschmückten Renaissancebau und war durchaus gepflegt. Zufrieden packte Mélanie ihren kleinen Reisekoffer aus und entledigte sich der Männerkleider, die vom Schieben der Kutsche aus dem Morast bis oben hin verschmutzt waren. Sie rief nach dem Mädchen und steckte ihr ein großzügiges Trinkgeld zu.
»Bitte reinige diese Sachen und die Schuhe. Im übrigen erwarte ich Stillschweigen darüber, was du hier siehst.« Mélanie deutete auf das Kleid, das sie inzwischen trug. »Kann man hier à la carte essen, und kannst du es mir aufs Zimmer bringen?«
»Wenn Sie mir sagen, was Sie wünschen, kann ich es vielleicht besorgen«, antwortete das Mädchen.
»Ich hätte Lust auf Huhn oder frischen Fisch mit etwas Gemüse, nur leicht angedünstet, nicht zu Brei verkocht.«
»Ich werde nachfragen.«
»Und wie heißt
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