Hallo Mister Alzheimer
singen lauter. Wir haben mehr Spaß – auch wenn der Lehrer im letzten Jahr der Mittelschule sagte, es wäre am besten, wenn wir nur leise vor uns hin summen würden. Wir zeichnen, tanzen, malen und sind generell offener, es mit neuen Ausdrucksformenzu versuchen, sobald der Schleier des «Das tut man nicht» erst einmal gelüftet ist.
Loben Sie sich und konzentrieren Sie sich auf die Freiheit, die Offenheit Ihrer Schwester, um neue Formen des Selbstausdrucks zu erweitern – mit Ausnahme von Obszönitäten, natürlich.
Richard
68. Lässt sich der Diagnose etwas Positives abgewinnen?
Lieber Richard,
ich habe mein Leben als jemand gelebt, dessen Glas halb voll ist, und ich bin stolz darauf. Ich war stets der Ansicht, bei jeder schlechten Erfahrung gäbe es einen Silberstreifen am Horizont. Wenn ich aber meine Großmutter anschaue, bei der kürzlich Demenz diagnostiziert wurde, kommen mir Zweifel. Lässt sich dieser Diagnose wirklich etwas Positives abgewinnen?
Hailey B.
Hallo!
Ehrlich gesagt – und ich weiß nicht einmal genau, warum – fühle ich mich unwohl in Gegenwart von Leuten, die mir sagen, was für ein verkappter Segen die Diagnose war. «Unser Leben wird intensiver!», sagen sie mir. «Oh?», sage ich. Ich habe mich immer für einen Optimisten gehalten. Ich suche nach dem Guten in Menschen, Dingen und Ereignissen. Ich glaube nicht, dass alles aus einem Zweck, einem guten oder schlechten, heraus geschieht. Manchmal passieren Dinge einfach. Ich glaube auch, dass wir die Freiheit haben, mit den Geschehnissen zu verfahren, wie es uns beliebt. Einige von uns machen es sich zur Gewohnheit, aus jeder Situation das Schlimmste zu machen. Für mich ist Leben einfach da. Es ist weder gut noch schlecht, und Gut und Schlecht liegen im Auge des Betrachters. Umstände bestimmen Umstände. Es liegt meiner Ansicht nach an uns, aus all den Ebenen der Sachlage das Beste für uns und andere zu machen.
Es ist unnötig, Dinge nur als vollkommen gut oder vollkommen schlecht zu betrachten. Sie können beides zugleich sein; die Umstände des Lebens können gut und schlecht zugleich sein und sind es auch.
Ich bin mit meiner Familie jetzt enger verbunden als je zuvor im Leben. Wir umarmen einander mehr. Wir bringen unsere Liebe und Wertschätzung stärker zum Ausdruck. Wir sprechen mehr miteinander und sind einander gegenüber offener. Ich denke, die Diagnose und unsere Ängste haben unsere Prioritäten als Familie neu geordnet. Ist das der Silberstreif?
Meine Frau und ich machen mehr gemeinsame Reisen. Mein Bruder und ich verbringen mehr Zeit miteinander, obwohl wir Tausende von Kilometern auseinander leben. Wir sind zu eben diesem Zeitpunkt, an dem ich mich fühle, als würde ich mich unausweichlich weiter und weiter von ihrer Welt und von ihnen entfernen, einander körperlich und emotional näher. Beides scheint zur selben Zeit, im selben Raum, in unserem Geist und in unseren Herzen zu geschehen. Ist das der Silberstreif?
Wenn Sie Ihre Zeit damit verbringen, in den Himmel zu schauen und durch Wolkenlesen versuchen, Bedeutung in dem zu finden, was mit Ihnen geschieht, mag tatsächlich ein Silberstreif im Sturm liegen. Ich versuche, in jedem Augenblick meines Lebens zu leben. Ich versuche, aus jedem Augenblick so viel Freude, Sinn und Liebe herauszupressen, wie ich kann.
Es gibt Augenblicke, viele Augenblicke, an denen mich diese Anstrengung ermüdet. Manchmal möchte ich sagen: «Lasst es uns alles hinter uns bringen. Lasst das Meer der Symptome mich hinwegschwemmen und ich werde als jemand anderes wieder angespült.» Aber das sind nur Augenblicke. Auf sie folgt stets ein anderer Augenblick, in dem ich mir nicht mehr leid tue, mich nicht mehr zum Opfer gemacht fühle durch das, was auch immer Demenz verursacht. Ich schaue zu den vielen Sonnen auf, die stets um mich herum geleuchtet haben, sowohl vor als auch nach der Diagnose.Ich schaue auf meine Frau, meine Familie, meine Freunde und auf die im wahrsten Sinne des Wortes Hunderte von neuen Freunden, denen ich jeden Monat begegne. Dies ist der lebendige Silberstreif, der durch die dunkle Wolke der Demenz scheint.
Es tut mir so leid, dass diese warnende Erfahrung im Leben nötig war, um mich zu motivieren, ein Leben zu führen, dass ich schon immer hätte leben sollen: ein Leben mit mehr Sinn und Freude. Aber das habe ich nicht getan, und das ist jetzt Vergangenheit. Alles, was wir haben, ist die Gegenwart. Dieser Augenblick ist das Gefäß, das wir alle selbst
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