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Hallo Mister Alzheimer

Hallo Mister Alzheimer

Titel: Hallo Mister Alzheimer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Taylor
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sind bisweilen schroff und entsprechen nicht der Person. Gelegentlich sind sie der Situation nicht angemessen und können in vulgärer, sexueller oder obszöner Sprache erfolgen. Diese Ausbrüche bringen die Anwesenden in Verlegenheit und wären der betreffenden Person peinlich, wenn diese sich des Gesagten voll und ganz bewusst gewesen wäre.
    Gleiche hinter dem rechten oder linken Ohr (ich kann mich gerade nicht erinnern, auf welcher Seite) gibt es eine Gruppe von Gehirnzellen, die unsere Emotionen und wie wir sie zum Ausdruck bringen, überwacht und bis zu einem gewissen Maß hemmt. Typischerweisehalten uns soziale Besetzungen (d. h. Werte und Normen), die von unseren Eltern, der Kirche, den Medien oder dem Gesetz in diese Zellen einprogrammiert wurden, davon ab, so wütend, glücklich oder sexuell erregt zu reagieren, wie wir in einem bestimmten Augenblick vielleicht gestimmt sind.
    Einige der frühen Anzeichen von Demenz sprechen dafür, dass diese Zellen zu den ersten gehören, die durch die Krankheit besiegt werden. Wir fluchen und platzen mit etwas heraus. Ich denke nicht, dass wir von Natur aus bestimmt sind, zu fluchen «wie ein betrunkener Seemann». (Warum stellen wir immer die Marine dar, als sei sie voller unflätiger Säufer? Wie steht es mit dem Heer, der Luftwaffe, der Küstenwache, dem Rotary Club, Forschern etc.?)
    Ich denke, wir alle haben andere Menschen gehört, die ihre Gefühle durch lautes Fluchen zum Ausdruck brachten. Wir agieren nicht alle so, weil diese paar Gehirnzellen und unsere Konditionierung beschlossen haben, es sei nicht richtig oder gesellschaftlich nicht akzeptabel.
    Demenz scheint den «Richtig»-Knopf neu zu eichen. Es könnte für Sie und Ihre Schwester von Nutzen sein, sich einmal zusammenzusetzen und über die Veränderungen der Worte zu sprechen, die sie zur Äußerung ihrer Gefühle verwendet. Mein Rat ist vermutlich nutzlos, wenn sie sich gerade äußert, aber wiederholte Versuche bei anderen Gelegenheiten lohnen sich sicher.
    Demenz zwingt Menschen nicht zum Fluchen. Sie tun es, weil es eine neue, «natürliche» Form wird, sich zu äußern. Neulich stand ich am Flughafen mit meiner Tochter in einer Schlange, als sie rief: «Vati, hör auf damit, bitte!» «Aufhören womit?», fragte ich mich. Nachdem ich etwa eine Stunde lang geschmollt hatte, weil mich ein Mitglied meiner Familie in aller Öffentlichkeit angeschrien hatte, fragte ich sie, warum sie das gesagt hätte und warum sie es auf diese Weise gesagt hätte. (Es war das allererste Mal, dass sie mir gegenüber überhaupt die Stimme erhoben hatte.) Offenbar hatte esbei unserer Ankunft am Flughafen eine lange Schlange zum Abfertigungsschalter gegeben. Als ich dies sah, begann ich allen potenziellen Zuhörern – bisweilen lästerlich – Möglichkeiten vorzuschlagen, wie sich die Schlange verkürzen ließe. Meine Erinnerung an diesen Austausch war in etwa folgende: «Könnten Sie bitte diese Mitarbeiter für Erste-Klasse-Passagiere bitten, sich herabzulassen, ein paar von uns aus dem Zwischendeck einzuchecken? Wären Sie bitte so freundlich, mit dem Überprüfen der Papiere jetzt zu beginnen, damit wir fertig sind, wenn wir zum Abfertigungsschalter kommen.» Ich bot lediglich solide, praktische Lösungen an. Die Erinnerung meiner Tochter an diesen Austausch war der meinen sehr ähnlich, ausgenommen, dass es da noch Verweise auf Körperteile, Sexualpraktiken und unfreundliche Vorschläge in Bezug auf die Mutter von Personen gab. Anscheinend erhöhte meine frei flottierende, furchtgelenkte Angst die Lautstärke meiner Stimme und die Intensität meiner Gefühle. Sie brachte mich dazu, dieselben Vorschläge immer und immer wieder zu machen. Klar war ich agitiert, aber sicher nicht agitiert genug, um eine öffentliche Verwarnung zu rechtfertigen. «Vati! Es reicht jetzt! Hör auf!» Ehrlich, ich war mir der Intensität und der ständigen Wiederholungen meines Verhaltens nicht bewusst.
    Ich bin nicht der Mensch, der die Gefühle Dritter ignoriert. Wer mit einer der Demenzerkrankungen lebt, verliert die Fähigkeit, die Auswirkungen seines Verhaltens auf andere voll und ganz einzuschätzen. Wir verlieren die Fähigkeit, unser Verhalten selbst zu überwachen. Zunehmend treffen wir sozial inakzeptable Entscheidungen.
    Die andere, eher positive Seite des Nachlassens unserer Hemmungen als eines der Demenzsymptome ist, dass viele eher bereit sind, Dinge zu versuchen, die sie sich vorher nicht getraut haben. Wir singen mehr. Wir

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