Halo 01 - Die Schlacht um Reach
Keyes wäre noch da. Er hatte sich vergangenen Monat als fähiger Assistent erwiesen. Doch er hatte angefangen, das Projekt zu verstehen – beziehungsweise die Umrisse der Wahrheit zu erkennen, worauf Dr. Halsey ihn an die Magellan überstellte und ihn als Anerkennung für seine Bemühungen zum Lieutenant befördern ließ.
»Sind Sie bereit, Doktor?«, fragte eine körperlose Frauenstimme.
»Fast, Dejä.« Dr. Halsey seufzte. »Bitte Chief Petty Officer Mendez herein. Ich möchte, dass du und er anwesend seid, wenn ich zu ihnen spreche.«
Dejäs Hologramm entstand direkt neben Dr. Halsey. Die KI war speziell für Dr. Halseys SPARTANER-Projekt entwickelt worden. Sie sah wie eine griechische Göttin aus: barfuss, in eine Toga gehüllt, während Lichtpunkte um ihr leuchtend weißes Haar tanzten. In der linken Hand hielt sie eine Tontafel, über die ein Binärcode lief. Dr. Halsey staunte immer wieder über die Form, die die KI gewählt hatte. Jede KI suchte sich das holographische Aussehen allein aus; so waren alle einzigartig.
Eine Tür am Rand des Amphitheaters öffnete sich, und Chief Petty Officer Mendez schritt die Stufen hinunter. Er trug eine schwarze Uniform, und seine Brust war voller silberner und goldener Sterne und einem Regenbogen aus Ordensbändchen. Sein kurzgeschnittenes Haar war an den Schläfen leicht angegraut. Er war nicht sonderlich groß oder muskulös. Für einen Mann, der so viele Schlachten erlebt hatte, wirkte er vollkommen gewöhnlich… abgesehen von seinem Gang. Er bewegte sich mit einer langsamen Eleganz, als wäre die Schwerkraft nur halb so hoch. Er blieb vor Dr. Halsey stehen und wartete weitere Befehle ab.
»Hier herauf, bitte«, sagte sie und zeigte auf die Stufen zu ihrer Rechten. Mendez stieg die Stufen zur Plattform empor und blieb entspannt neben ihr stehen.
»Haben Sie meine psychologische Analyse gelesen?«, wandte sich Dejä
an Dr. Halsey.
»Ja. Sie war sehr detailliert«, sagte sie. »Danke.«
»Und?«
»Ich werde deinen Ratschlag nicht annehmen, Dejä. Ich sage ihnen die Wahrheit.«
Mendez bekundete seine Zustimmung mit einem leisen Grunzen – eine der ausführlichsten Äußerungen, die Dr. Halsey bisher von ihm gehört hatte. Mendez war einer der besten Kämpfer und Ausbilder der Marines, aber als Gesprächspartner ließ er deutliche Defizite erkennen.
»Die Wahrheit birgt Risiken«, warnte Dejä.
»Lügen ebenfalls«, antwortete Dr. Halsey. »Jede Geschichte, die wir uns zur Motivation dieser Kinder ausdenken – wenn wir behaupten, ihre Eltern seien von Piraten ermordet worden oder bei einer Seuche auf ihrem Planeten gestorben – würde sie gegen uns aufbringen, wenn sie eines Tages die Wahrheit erführen.«
»Das ist eine legitime Sorge«, gab Dejä zu und warf einen Blick auf ihre Tafel. »Dürfte ich eine selektive neurale Lähmung vorschlagen? Sie löst einen zielgerichteten Erinnerungsverlust aus, der…«
»Ein Erinnerungsverlust, der auf andere Gehirnteile übergreifen könnte. Nein«, sagte Dr. Halsey. »Selbst mit intakten Gehirnen ist das alles noch hoch gefährlich für sie.«
Sie aktivierte ihr Mikrofon. »Bringen Sie sie jetzt bitte herein.«
»Jawohl«, antwortete eine Stimme aus den Deckenlautsprechern.
»Sie werden sich anpassen«, sagte Dr. Halsey zu Dejä, »Oder sie wer-den es nicht – dann wären sie nicht zu unterrichten und somit für das Projekt ungeeignet. In jedem Fall will ich es aber jetzt einfach hinter mich bringen.«
Vier Doppeltüren in der obersten Reihe des Amphitheaters öffneten sich. 75 Kinder marschierten herein – ein jedes wurde von einem Trainer, einem Navy-Ausbilder in Camouflage-Uniform, begleitet.
Die Kinder hatten dunkle Ringe unter den Augen. Sie alle waren aufgenommen, rasch durch den Slipstream geschleust und erst kürzlich aus dem Kryoschlaf erweckt worden. Der Schock dieser Tortur musste ihnen schwer zu schaffen machen, erkannte Dr. Halsey. Sie fühlte einen Stich des Bedauerns. Als sie sich gesetzt hatten, räusperte sich Dr. Halsey und begann zu sprechen: »In Übereinstimmung mit der Navy-Richtlinie 45.812 werdet ihr hiermit zum UN SC-Sonderprojekt mit dem Codenamen SPARTANER II rekrutiert.«
Sie machte eine Pause. Die Worte steckten ihr in der Kehle fest. Wie sollten sie das verstehen? Sie verstand ja kaum die Rechtfertigung und die Moral hinter diesem Programm.
Sie wirkten so verwirrt. Einige wollten aufstehen und gehen, aber ihre Trainer legten ihnen autoritär die Hand auf die Schulter und
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