Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
Daniels erkennen konnte, den massigen linken Arm um Marshalls Kehle, den rechten fest um seine Brust. Marshalls Gesicht war schmerzverzerrt.
Und das war gut so.
40
Am Samstagabend flaute die Hitze ab, und der Sonntagvormittag erstrahlte in einem für das Lowcountry so typischen milden Sonnenschein. Um zehn saßen Pete und ich bereits im Pavillon, die Flip-Flops abgestreift, und arbeiteten uns durch jede Zeitung, die ich am Kiosk der Insel hatte ergattern können.
Ich blätterte eben im Sportteil des Charlotte Observer , als ein langsamer Schatten über die Seite zog. Ich schaute hoch. Pelikane segelten in einem V auf dem Wind über unsere Köpfe hinweg.
Nachdem ich mir aus der Thermoskanne frischen Kaffee eingegossen hatte, legte ich die Füße aufs Geländer und betrachtete meine Umgebung. Hinter den Dünen ging die Flut wieder zurück und gab mit jedem langsamen, trägen Schwappen ein wenig mehr vom Strand frei. Im Südwesten tanzten winzige Drachen im Himmel über Sullivan’s Island. Im Gebüsch neben dem Plankensteg zwitscherten Vögel in einem intensiven vormittäglichen Dialog.
Auf dem Heimweg vom MUSC am Nachmittag zuvor hatte Pete verkündet, dass am Montag einer seiner Kanzleipartner hierher kommen werde, um ihn nach Charlotte zurückzufahren.
Buck Flynn und seine Freunde hatten Buchprüfer engagiert, die sich intensiv mit Aubrey Herrons Finanzen beschäftigen sollten. Ausgehend von dem, was Pete vor der Neugestaltung seiner Lunge erfahren hatte, bezweifelte er, dass die GMC besonders pfleglich mit Spendengeldern umging.
Ich hatte keine Einwände gegen Petes Pläne. Der lettische Weise erholte sich sehr gut. Ich wusste, dass er unbedingt zu seinen Mandanten zurückkehren wollte.
Ich hatte mit Tim Larabee gesprochen, dem Leichenbeschauer des Mecklenburg County, außerdem mit Pierre LaManche, dem Leiter des gerichtsmedizinischen Instituts in Montreal. Im Institut in Charlotte waren ein Schädel und zwei mumifizierte Kleinkinder angeliefert worden. Im LSJML in Kanada waren zwei partielle Skelette eingetroffen. Beide Pathologen hatten mir versichert, dass die Fälle nicht dringend waren – ich konnte also noch eine Weile in Charleston bei Emma bleiben.
Und wegen einer letzten Aufgabe.
Ich schlug eben das Journal-Constitution aus Atlanta auf, als ich auf dem Plankensteg Schritte eher spürte als hörte. Als ich mich umdrehte, sah ich Gullet auf uns zukommen. Er trug eine Ray-Ban-Sonnenbrille, Khakis und ein Jeanshemd ohne aufgestickten Namen. Ich nahm an, dass dieses Ensemble dem entsprach, was sich der Sheriff unter Zivilkleidung vorstellte.
»Morgen.« Gullet nickte Pete zu, dann mir.
Pete und ich erwiderten seinen Gruß.
Gullet setzte sich auf die Bank im Pavillon. »Bin sehr froh, dass Sie alles so gut überstanden haben, Sir.«
»Habe ich, ja. Kaffee?« Pete klopfte auf die Thermoskanne.
»Nein, danke.« Gullet stellte die Füße auf den Boden und legte fleischige Unterarme auf fleischige Oberschenkel. »Hatte eine nette, kleine Unterhaltung mit Dickie Dupree. Wie’s aussieht, hat Dickie einen Angestellten, der zwar viel Ehrgeiz, aber wenig Hirn besitzt. George Lanyard.« Gullet nickte in meine Richtung. »Dickie las diesen Bericht, den Sie an den staatlichen Archäologen geschickt hatten, und drehte durch. Lanyard missverstand die Bemerkung seines Chefs, er wolle Ihnen an die Gurgel. Höflich formuliert.«
»Lanyard dachte, Dupree wollte damit sagen, jemand solle auf mich schießen?«
»Nicht auf Sie schießen. Aber Ihnen Angst einjagen. Lanyard gibt zu, dass er die Bierflasche geworfen und einen Schuss aufs Haus abgegeben hat. Behauptet aber, dass er nie vorhatte, jemanden zu verletzen.« Gullet drehte sich Pete zu. »Sie sind einfach zur falschen Zeit in die Küche gekommen.«
»Dickie persönlich hatte nichts damit zu tun?«, fragte ich.
»Dupree drehte völlig durch, als Lanyard mit der Sprache rausrückte. Ich dachte schon, jetzt passiert gleich noch ein Mord.« Gullet atmete einmal tief ein und wieder aus. »Ich glaube ihm. Dupree mag ab und zu mal die Regeln des Anstands verletzen, aber der Mann ist kein Krimineller.«
»Was ist mit Marshall?«, fragte Pete, den Lanyard offensichtlich nicht interessierte.
»Der Staatsanwalt hat mit ihm eine Abmachung getroffen. Marshall nennt die Namen aller seiner Opfer und die Orte, an denen er sie beseitigt hat, und der Staat erklärt sich bereit, ihm keine Nadel in den Arm zu stecken.«
Ich schnaubte verächtlich. »Also wenigstens eine
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