Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
Coroner von Berkeley County habe den Tod von Susie Ruth Aikman als natürlich eingestuft. Die alte Frau war an einem massiven Herzinfarkt verstorben.
Dann erzählte Emma noch die merkwürdige Geschichte mit diesem Kreuzfahrtschiff.
Auf hoher See starb ein Passagier. Als das Schiff in Charleston vor Anker ging, gab die Witwe des Mannes seine Verbrennung in Auftrag, unterzeichnete die Papiere und verschwand dann mit der Urne. Tage später tauchte eine Frau in Emmas Büro auf, behauptete, sie sei die Ehefrau des Verstorbenen, und verlangte die Herausgabe der Leiche. Unterlagen bewiesen, dass diese zweite Dame tatsächlich die Angetraute des Verstorbenen war. Im Anschluss stritt man sich vor Gericht um die Asche des Herrn.
»Dieser Schürzenjäger hatte zwei Frauen, die sich nun um seine Überreste stritten, Tempe. Was für ein Glückspilz.« Emma schluckte. Ich merkte, dass die Unterhaltung sie inzwischen sehr anstrengte. »Ich sterbe. Das wissen wir alle.«
»Sag so was nicht«, entgegnete ich mit einem Kloß in der Kehle. Sie redete einfach weiter.
»Mein Tod wird nicht unbemerkt bleiben. Ich habe Menschen in meinem Leben. Man wird sich an mich erinnern, mich vielleicht sogar vermissen. Aber Marshall und Rodriguez haben sich die Ausgestoßenen unserer Gesellschaft als Opfer ausgesucht. Diejenigen, die am Rande leben, deren Tod von niemandem betrauert wird. Cookie Godines Verschwinden wurde nicht einmal gemeldet. Dasselbe gilt für Helms und Montague. Aber dank dir, Tempe, sind diese Leichen nicht anonym geblieben.«
Da mir die Stimme versagte, strich ich Emma über die Haare, nur einen schweren, langen Atemzug vom Schluchzen entfernt.
Gullet, der eben seinen eigenen Gedanken nachgehangen hatte, redete nun weiter. »Das ist ungerecht.«
»Ja«, sagte ich. »Das ist es.«
»Sie ist ein guter Mensch und in ihrer Arbeit ein echter Profi.«
Gullet stand auf. Ich stand auf.
»Es ist wohl am besten, wenn man die Wege des Herrn nicht hinterfragt.«
Darauf schien es keine Erwiderung zu geben, deshalb sagte ich auch nichts.
»Sie haben ganz Erstaunliches geleistet, Doc. Bei der Zusammenarbeit mit Ihnen habe ich einiges gelernt.«
Gullet streckte mir die Hand entgegen. Überrascht ergriff ich sie.
Das letzte fehlende Puzzlestück war ein Geschenk von mir an Gullet.
»Winbornes Informant saß übrigens nicht in Ihrem Büro, Sheriff. Auf Emmas Drängen hin hat sich Lee Anne Miller in der MUSC-Leichenhalle ein bisschen umgehört. Die undichte Stelle war ein Autopsietechniker, der seit zwei Jahren dort beschäftigt war.« Auch das hatte Emma mir am Samstag erzählt.
Gullet wollte etwas sagen. Ich schnitt ihm das Wort ab. Falls er sich entschuldigen wollte, weil er mir vorgeworfen hatte, die Ermittlungen zu sabotieren, so wollte ich das nicht hören.
»War«, wiederholte ich mit Nachdruck. »Der Herr ist gegenwärtig arbeitslos.«
Gullet überlegte einige Augenblicke und wandte sich dann an Pete.
»Alles Gute für Sie, Sir. Wollen Sie über das Verfahren gegen Lanyard auf dem Laufenden gehalten werden? Ich vermute, er wird sich herausreden wollen.«
»Das ist allein Ihre Sache, Sheriff. Was für Sie und den Staatsanwalt akzeptabel ist, ist auch für mich akzeptabel. Wenn alles vorüber ist, können Sie mir das Ergebnis ja mitteilen, wenn es keine allzu große Mühe macht.«
Gullet nickte. »Das werde ich tun.«
Zu mir gewandt: »Dienstagmorgen, sieben Uhr?«
»Ich warte auf Sie.«
Epilog
Mit der Morgendämmerung setzte ein kühler, grauer Nieselregen ein, der den ganzen Vormittag über anhielt. Der Himmel verfärbte sich von anthrazit zu schiefergrau zu perlfarben, aber die Sonne blieb nur ein trüber, weißer Fleck.
Um acht waren wir wieder auf Dewees Island, in einem kleinen Stück Küstenwald etwa fünf Meter vom Hochwasserstrand entfernt. Hin und wieder flüsterte eine Bö im feucht glänzenden Laubwerk. Tropfen klatschten auf die Plastikplane, die ich mit meiner Kelle freilegte. Millers Stiefel glucksten im Matsch, während sie den Fundort umkreiste und mit ihrer Nikon Fotos des traurigen Tableaus schoss.
Gullet stand mit unbewegtem Gesicht über mir, nur hin und wieder blähte ein Windstoß seine Nylonjacke. Marshall sah von einem Golfkarren aus zu, die gefesselten Hände überkreuzt, einen Deputy neben sich.
Jenseits des Regens und des Winds und der Kamera beherrschte eine Stille die Szenerie, die mir durchaus angemessen erschien. Ernst und melancholisch.
Gegen Mittag konnten Miller und ich Cookie
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