Haltlos
ganz andere Art zu denken als Jaromir und sein Muster fühlte sich bei Weitem nicht so komplex an wie das des Professors. Größtenteils dachte J über seine nächste Semesterarbeit nach, aber es huschten ihm auch immer wieder Gedanken über sie und Jaromir dazwischen. So fragte er sich zum Beispiel, ob Victoria auch mit Jaromir zusammengekommen wäre, wenn er nicht so viel von der wahren Liebe gefaselt und sie nicht so stark dazu ermuntert hätte.
Außerdem macht er sich Sorgen, ob Custos Portae wirklich gut für sie war. Sie war so anders, wenn sie von ihm erzählte. Ihre Augen leuchteten dann immer so intensiv. Und auch, wenn Vici jetzt erst seit zwei Tagen mit ihm zusammen war, so hatte er doch den Eindruck, als sei sie stärker mit ihm verbunden, als sie es mit Mark jemals gewesen war. J fragte sich ernsthaft, was passieren würde, wenn Jaromir sie satt hätte und mit ihr Schluss machen würde.
Bei dem Gedanken stockte Victoria der Atem und sie fröstelte. „Ich glaube, ich würde sterben – oder wenigstens den Verstand verlieren.“ Ihr Magen krampfte sich um einen größer werdenden Eisblock zusammen.
Dann spürte sie eine willkommen vertraute Präsenz und ein angenehmes Prickeln breitete sich in ihr aus. „Ich werde aber nicht mit dir Schluss machen, Victoria.“
Der Eisblock in ihrem Bauch schmolz langsam wieder. „Beobachtest du mich etwa wieder?“ Sie erhob in Gedanken lächelnd ihren Zeigefinger.
„Nein, ich habe gerade etwas ganz anderes gemacht, als ich plötzlich dein Unbehagen spürte. Und das ist wirklich eigenartig, denn normalerweise, dürfte ich das gar nicht bemerken.“
„Tja Herr Professor, du bist hier der Magieexperte…“
Sie spürte, wie er lächelnd antwortete: „Offenbar nicht Experte genug! … Aber ich sehe, dass du verführerisch nah bist.“
Victoria war gar nicht bewusst gewesen, dass die Bank, auf der J und sie saßen, Luftlinie nur knapp hundert Meter von Jaromirs Haus entfernt war. Sie konzentrierte sich kurz und war dann sicher, dass er tatsächlich in seinem Haus war – genauer gesagt im weißen Salon. Und er machte… er hatte irgendwelche Übungen gemacht, die seine volle Konzentration erforderten.
„Ich wusste nicht, dass du zu Hause bist. J und ich machen gerade einen Spaziergang…“
„Ich weiß… Schade, dass wir uns für heute nicht verabredet haben. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so schwer fallen würde, einen Tag ohne dich zu sein.“
Sie hatte das Gefühl, wieder in seine warmen, braunen Augen zu blicken und spürte, wie das Glück sie durchströmte. Sie würde nichts lieber tun, als jetzt zu ihm zu gehen.
Dann spürte sie sein Bedauern. „Leider habe ich heute noch zu viel zu erledigen. Aber sag mal, was hältst du davon, wenn ich Albert frage, ob er morgen für uns kocht?“
Die Schmetterlinge in ihrem Bauch schrien jetzt schon „Hunger“ und flatterten begeistert.
„Hmmm, da muss ich erst mal in meinen Terminkalender gucken… Nein Quatsch, war ein Scherz. Ich habe morgen bis sechzehn Uhr Vorlesung und dann nichts Konkretes mehr vor – höchstens Matheübungen.“
Er lachte amüsiert. „Ich kenne da jemanden, der auf diesem Gebiet sehr versiert ist und durchaus bereit wäre, dir Privatstunden zu geben.“
„Das muss ich leider ablehnen, Herr Professor! Den Spaß lasse ich mir nicht nehmen“ , antwortete Victoria entschieden.
„Da bist du aber wirklich eine Ausnahme unter den Studenten.“
Sie lächelte. „Ich weiß eben, was gut für mich ist. Darum kann ich auch eine Einladung zu Alberts Kochkunst nicht ablehnen.“
Er tat empört. „Du liebst meinen Butler mehr als mich?!“
„Nicht deinen Butler, Jaromir, nur sein Essen!“
„Na, dann ist es ja gut. Ich habe morgen auch um vier Schluss – sehen wir uns gleich nach der Uni?“
„Ja, dann bis morgen.“
J schaute sie schräg von der Seite an. „Ein Königreich für deine Gedanken! Du scheinst dich ja gerade prächtig zu vergnügen.“
Sie lachte. „Du hast recht – ich musste gerade an gestern denken. Manchmal ist mein Professor doch höchst amüsant…“
Am Montagmorgen konnte Victoria die Geometrievorlesung kaum erwarten. Allerdings war ihr auch etwas mulmig zumute, da Jaromir ihr in der Uni ja weiterhin als Professor gegenübertrat und nicht als Geliebter. „ Geliebter – wie sich das anhört… Naja, egal.“
Es wurde zwölf und die Geometrievorlesung begann. Wie immer blickte Professor Custos Portae zuerst zu Victoria und lächelte, als er den
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