Haltlos
„Wenn ihr mit dem Wagen da seid, kann ich ja mal kurz mit runter kommen und einen Blick darauf werfen.“
Victoria musste sich zusammenreißen, um nicht zu grinsen und meinte beiläufig: „Lasst euch ruhig Zeit. Ich muss eh erst mal meine Unterlagen sortieren und ein paar Klamotten einpacken will ich auch noch.“
Schweigend gingen die beiden Männer nach unten.
J war in seiner Kindheit und Jugend sehr häufig bei einem Schulfreund zu Besuch gewesen, dessen Vater eine Kfz-Werkstatt besaß. Die Jungs durften selbst auch mithelfen und bekamen viel erklärt, so dass J dort sehr viel Zeit verbrachte und fast wie ein zweiter Sohn für den Meister wurde. In seiner Freizeit restaurierte der Vater einen Aston Martin, wie Jaromir ihn fuhr, hatte ihn aber bis heute nicht ganz fertig bekommen, weil die Ersatzteile so teuer waren. Jaromir brauchte nicht seine Gedanken zu lesen, um zu bemerken, wie aufgeregt Victorias Mitbewohner war, als sie beim Wagen ankamen.
J schaute sich das Fahrzeug zuerst in aller Ruhe von außen an und murmelte: „Ein DB 4 aus der Serie II – interessant.“ Dann fragte er etwas lauter: „Wann war denn die Erstzulassung?“
Der Professor zuckte mit den Achseln, meinte dann aber: „Ich glaube, die war 1961.“
J nickte zustimmend und konnte sein gespieltes Desinteresse kaum noch aufrechterhalten. „Ich müsste mich mal hinters Steuer setzen, dann kann ich dir vielleicht was über den Tachometer sagen.“
Jaromir zückte den Schlüssel und öffnete die Fahrertür. „Klar! Rein mit dir.“
J war voller Ehrfurcht, als er sich vorsichtig auf dem Fahrersitz niederließ. Fast schon zärtlich strich er mit der Hand übers Lenkrad. „Das ist Wahnsinn. Der Drehzahlmesser ist auf alle Fälle original und der Tacho… hmmm. Hast du was dagegen, wenn ich mir mal kurz den Motorraum angucke?“
Der Professor schüttelte den Kopf. „Nein, mach das ruhig. Du öffnest die Motorhaube mit…“
Doch J war schneller. „Schon gefunden!“, rief er und dann war die Haube bereits offen. Er klappte sie liebevoll ganz auf und stellte sie fest. Dann blickte er in den Motorraum. „Eine sehr saubere Sechszylindermaschine. Du pflegst dein Automobil wirklich.“
Jaromir tat entsetzt. „Ich habe Stunden mit dem Basteln verbracht, dann lasse ich das gute Stück doch jetzt nicht verlottern!“
J schaute sich alles genau an und kroch förmlich in die letzten Ecken. Dann meinte er: „Du hast recht, der Kilometerstand passt nicht zu den Abnutzungsspuren. Hast du hier denn auch etwas austauschen müssen?“
Jaromir schüttelte den Kopf. „Nein eigentlich nicht. Nur die ganz normalen Verschleißteile.“
J schloss die Motorhaube vorsichtig und setzte sich dann erneut hinters Steuer. Er inspizierte den Tacho noch einmal akribisch und meinte dann: „Ich glaube, der Tacho gehört noch zur Originalausstattung. Allerdings habe ich gehört, dass es gerade bei diesen älteren Baujahren möglich ist, den Tacho zu manipulieren. Wahrscheinlich wollte der Verkäufer damit den Preis hochtreiben.“
Jaromir nickte. „So etwas hatte ich auch schon befürchtet, aber eigentlich ist mir der echte Kilometerstand auch egal.“ Dann grinste er. „Was meinst du, hast du Lust auf eine kleine Spritztour? Einmal das Hindenburgufer runter und wieder rauf?“
Jetzt grinste J wie ein Vierjähriger, der vom Weihnachtmann das heißersehnte Lieblingsspielzeug geschenkt bekommt. „Wenn du noch Zeit hast“, antwortete er betont lässig und wollte schon auf den Beifahrersitz rutschen.
Aber Jaromir winkte ab, „Nein, fahr du ruhig“, und warf ihm die Schlüssel zu.
J war wie im siebten Himmel, als er den satten Sound des Motors hörte und spürte, dass der Wagen schon auf die kleinste Bewegung des Gaspedals reagierte. Der Oldtimer war sehr gut eingestellt und fuhr sich absolut spritzig.
Diese Tour war für J das Größte!
Als sie wieder zurückkamen, hatte er glänzende Augen. Er schaltete den Motor aus, seufzte tief und strich noch einmal zärtlich über das Lenkrad. „Ein sehr schöner Wagen und ich muss zugeben. Hervorragend restauriert, Jaromir!“
Beide schwiegen und dann fragte J ganz unvermittelt: „Du liebst sie wirklich, oder?“
Jaromir nickte und sah ihm direkt in die Augen. „Ja J, ich liebe Victoria wirklich… mehr als ich sagen kann!“
Dann sah er abwesend nach vorn und fuhr leise fort: „Es ist, als wären wir zwei Teile eines Ganzen. Nur zusammen sind wir vollständig. Ich habe das alles nicht beabsichtigt,
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