Haltlos
Lenir auf. Eigentlich hatte Victoria sich heute Vormittag um ihre Mathesachen kümmern wollen, aber der gestrige Tag hatte ihre Prioritäten neu geordnet. Sie nahm sich ein Schale von diesem köstlichen Zimtmilchkaffee und eines von Alberts göttlichen hausgemachten Croissants und zog sich mit Jaromir aufs Sofa zurück. Der Tag war wirklich ungemütlich, so dass Jaromir das Holz im Kamin entzündete und sie zärtlich an sich zog.
Natürlich war ihm klar, was sie beschäftigte und so fragte er leise: „Also, was genau möchtest du wissen?“
Sie kuschelte sich an ihn und nahm genüsslich einen Schluck von ihrem Kaffee. „Mich beschäftigt das schon länger: Gibt es denn keine Liebesbeziehungen unter Drachen? Ich meine, ich konnte bisher nichts in der Art in deinem Geist sehen und auch Lenir baggert Menschenfrauen an.“
Jaromir lächelte. „Also, so eine romantische Liebe wie unter euch Menschen oder wie zwischen dir und mir gibt es bei uns Drachen tatsächlich nicht. Zu Reproduktionszwecken kommen wir zusammen, aber das war es dann auch schon. Natürlich ist jeder Drache sehr erpicht darauf, sich fortzupflanzen, und auch bereit, so einiges dafür zu tun – ansonsten wäre unsere Art wohl längst ausgestorben. Aber die Drachenweibchen sind nicht gerade zärtlich oder charmant und bei allem Respekt, den ich vor ihnen habe, kann ich mir nicht im Traum vorstellen, für längere Zeit mit einer von ihnen zusammenzuleben.“
Victoria drehte sich zu ihm um und grinste. „Was heißt: «ihr seid bereit, einiges dafür zu tun»? Kämpft ihr um das Privileg, eure Gene weiterzugeben?“
„Du meinst, so wie es zum Beispiel Bären tun?“, hakte er spöttisch nach.
Sie nickte ernst und er fuhr fort: „Hmmm, das war früher in der Tat so. Wenn ein Drachenweibchen empfängnisbereit ist, wird es richtig wild. Dann interessiert nur noch eines: einen Partner zu finden. Dabei sollen sie früher nicht gerade wählerisch gewesen sein. Die Drachenmännchen haben dann um das Weibchen gekämpft und der Sieger hat es bekommen. Aber ein paar Jahrhunderte vor den Torkriegen haben sich die goldenen Drachen organsiert.“
Victoria unterbrach ihn und fragte: „Sind alle weiblichen Drachen golden?“
Jaromir schüttelte den Kopf. „Nein, mache sind auch grün, aber dazu komme ich später. Also, die Goldenen haben sich zusammengetan und wenn jetzt eine von ihnen so weit ist, dann wählen die anderen für sie einen geeigneten Partner aus. Wir sind heute zivilisierter. Es geht eben nicht mehr nur um die Stärke im Kampf, sondern auch darum, die Vielseitigkeit der Drachen zu erhalten und erstrebenswerte Eigenschaften an die nächste Generation weiterzugeben.“
Sie runzelte nachdenklich die Stirn. „Ihr züchtet euch selbst?“
Er stutzte, nickte dann aber langsam. „Ja, so muss man es wohl nennen.“
„Das ist ja unglaublich“, bemerkte sie kopfschüttelnd. „Und das machen alle einfach so mit? Wie werden die Partner denn ausgewählt? Gibt es da eine Art Castingshow? Oder habt ihr eine Gendatenbank und ermittelt mit Scoringmodellen den besten Partner?“
Er schmunzelte und sagte dann: „Weißt du was? Komm einfach mit… ich zeige es dir.“
Er führte ihren Geist in einen Raum, den sie noch nie zuvor betreten hatte. Das Wissen strömte nur so auf sie ein und es war fast zu viel. Das meiste war fremdartig. Sie war sicher, dass sie – selbst wenn ihr die Dinge jetzt logisch erschienen – das meiste nicht mehr nachvollziehen können würde, sobald sie diesen Raum in Jaromirs Gedanken wieder verließ. Kurz hatte sie das Gefühl, den Verstand zu verlieren, aber Jaromir begleitete sie und zeigte ihr das, worauf es jetzt ankam:
Die goldenen Drachen bildeten unter sich eine Einheit, genau wie die schwarzen, roten, weißen, grünen oder blauen Drachen. An der Spitze der Goldenen stand die Königin, eine absolute Herrscherin, die sich aber meist an der Meinung ihrer Ratgeberinnen orientierte. Die Bewerber für die Fortpflanzung wurden von der Königin aufgrund ihrer Verdienste für die Drachen ausgewählt, natürlich unter Berücksichtigung ihres Erbmaterials. Für einen Drachen war es die allerhöchste Ehre und eine ganz besondere Auszeichnung, als Bewerber berufen zu werden.
Victoria sah all die vielschichtigen Gründe, die für dieses Auswahlverfahren sprachen und wusste, dass dies die beste Methode für den erfolgreichen Fortbestand und die positive Weiterentwicklung der Drachen war. Die goldenen Drachen waren wirklich
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