Haltlos
Mentor weiß Bescheid und will uns sehen. Er kann dich nicht dazu zwingen, wenn du also nicht mitkommen willst…“
„Habe ich denn wirklich eine Wahl?“ , fragte Victoria zutiefst verunsichert. „Finden wird er mich jetzt doch sowieso, oder? Egal, wo ich mich verstecke. Da schadet es doch mehr, wenn ich nicht mitkomme.“
Trotz der Anspannung spürte sie bei ihm ein Lächeln. „Du bist immer so vernünftig – selbst jetzt, wo sich jeder andere ängstlich irgendwo verkriechen würde. Hmmm, ich glaube, es ist tatsächlich besser, wenn du mitkommst.“
Victoria straffte ihre Schultern. „Gut, dann sehen wir uns gleich bei dir zu Hause. Wartest du in der Halle auf mich?“
Sie spürte seine Angst und seine Liebe, als er antwortete: „Natürlich – alles was du willst, Kleines!“
Sie musste blass geworden sein, denn plötzlich fragte Falk: „Vici, geht es dir nicht gut? Du bist ja kreidebleich geworden.“
„Jaaaa, die Magenverstimmung ist wohl doch schlimmer, als ich heute Morgen gedacht habe“, murmelte sie vor sich hin. „Ich glaube, ich fahre lieber nach Hause.“
Ihre Freunde sahen sie besorgt an und Felix meinte mitfühlend: „Ich kann dich gern nach Hause fahren. Das ist wirklich kein Problem.“
Sie winkte nur ab. „Ich weiß Felix, Danke für das Angebot, aber ich denke, die frische Luft wird mir gut tun.“
Dann verließ sie schnell die Schlange und alle wünschten ihr gute Besserung.
Nur Kerstin sah sie fragend an. Ihre Freundin verstand überhaupt nicht, was auf einmal los war, aber darauf konnte Victoria jetzt keine Rücksicht nehmen.
Als sie auf Jaromirs Anwesen ankam, wartete dieser schon draußen. Sie stieg von ihrem Rad und er nahm sie in die Arme. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und schloss kurz die Augen. Sie hatte wirklich Angst vor dem, was sie jetzt erwartete.
Dann seufzte sie und flüsterte: „Komm, lass es uns hinter uns bringen.“
Er nickte und nahm ihre Hand. Gemeinsam gingen sie ins Haus. Als sie den Salon betraten, stand Abrexar am Fenster und blickte scheinbar gedankenverloren in den Garten.
Victoria erkannte verwundert, dass der Mentor genau wie Jaromir und Lenir die Gestalt eines Mannes von Anfang dreißig angenommen hatte.
Jaromir erklärte: „Sein Zyklus in Hamburg hat genau wie meiner hier gerade erst begonnen. Wenn er jetzt schon die Erscheinung eines alten Mannes hätte, könnte er kaum dreißig oder vierzig Jahre dort arbeiten.“
Dann begrüßte er kühl seinen Mentor: „Guten Tag Abrexar, ich möchte dir Victoria vorstellen.“
Langsam drehte sich der Mann um. Genau wie Lenir sah auch er gut aus, aber im Gegensatz zu Lenir verriet ihn seine Aura sofort. Selbst in Menschengestalt war sie sehr mächtig.
Victoria sah in seine Augen und ihr stockte der Atem. Diese Augen passten auf keinen Fall zu einem normalen Menschen Anfang dreißig. Es war so viel Wissen, so viel Lebenserfahrung und Weisheit darin zu sehen.
Die Atmosphäre war fühlbar gespannt, aber Abrexar lächelte sie gewinnend an und sagte lässig mit einer angenehmen Stimme: „Hallo Victoria, schön dich kennenzulernen!“
Er hatte seinen Geist nur flüchtig abgeschirmt und sie sah Gedankenfetzen von dem Abend, an dem Lenir sie besucht hatte. Vorsichtshalber zog sie ihre eigenen Gedankenvorhänge noch fester zu.
Dann reichte Abrexar Jaromir die Hand. „Hallo Jaro. Es tut gut, dich wiederzusehen! Allerdings hätte ich mir wirklich andere Umstände dafür gewünscht. Ich habe Albert gebeten, uns einen kleinen Imbiss zu bringen – du hast doch nichts dagegen, oder?“
„Ist schon ok, Abrexar“, erwiderte Jaromir frostig und blickte ihn argwöhnisch an.
Victoria hatte den Mentor genau beobachtet. Er gab sich insbesondere ihr gegenüber betont locker und auf den ersten Blick schien seine Körpersprache so lässig wie die Lenirs – eben typisch für einen sportlichen Mann Anfang dreißig.
Dann hörte sie, wie Abrexar in Gedanken zu Jaromir sprach: „Sie schirmt ihre Gedanken perfekt ab! Hast du ihr das gezeigt?“
„Ja“ , antwortete Jaromir knapp.
Der Mentor bohrte weiter nach: „Ich habe in Lenirs Gedanken gesehen, dass sie auch andere Geistesmagien beherrscht und insgesamt sehr intuitiv mit der astralen Kraft umgeht. Ist das wahr?“
Die Antwort des ehemaligen Schülers klang schroff: „Wenn du es bei Lenir gesehen hast, dann wird es wohl so sein.“
Abrexar zog eine Augenbraue hoch und fuhr fort: „Ich bin nicht dein Feind, Jaromir. Aber, was hast du dir denn
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