Hamburg Horror Noir - Halloween Special
eingezogen war – ein unheimlicher Schlafwandler, dem sich Linda einmal gewahr nicht mehr entziehen konnte. Ob sie erkrankte, weil sie um die Taten ihres Ehemannes wusste oder sie sich tatsächlich einer irrationalen Macht ausgeliefert wähnte, war für mein Vorhaben unerheblich. Ich nahm an, Dennis Roder mit seinem nächtlichen Ich konfrontieren zu müssen – einmal den Schrecken beim Namen genannt, sollte er an seiner Kraft verlieren. Dies war eine gängige Therapie für Angstpatienten, warum also sollte sie ihre Wirkung bei meinem Freund verfehlen?
Wie ich vermutete, setzte er sich, von seinem Spaziergang recht bald zurückgekehrt, sogleich an seinen Arbeitsplatz, mich nur mit einem flüchtigen Gruß zum Morgen bedacht, und schrieb. Ich tat es ihm gleich und begann schon dort jene Geschichte, die zu dieser Schrift wurde, unter den Vorzeichen, dass es mir möglich schien, jenen kraftvoll dunklen Zauber dieses Ortes zu entlarven. Das stundenlange Schweigen zwischen uns nun gewöhnt wartete ich auf unser eigenes Ritual, das wir recht schnell entwickelt hatten. Unter der Einnahme des spärlichen Mahls, auch daran hatte ich mich gewöhnt, besprachen wir, welch Werk wir uns bis zum Schlaf vorlesen wollten. Die Bücher, die ich in seinem Regale fand, standen, wie sich denken lässt, nahezu gänzlich im Einklang mit Dennis' Vorstellungswelt. Neben den „Arabesken und Grotesken“ von E.A. Poe und „Der große Gott Pan“ von A. Machen, fanden sich auch „Die Elixiere des Teufels“ von E.T.A. Hoffmann, der vollständige „Cthulhu“-Mythos nach H.P. Lovecraft und selbst die exotischen Kurzgeschichten eines Akutagawa Ryûnosuke. Alles Werke, die in ihrem Kern besitzen, „was die moderne Schauerliteratur so kläglich vermissen lässt“, sagte mein Freund. Nichts von alledem schien mir erträglich für mein Unterfangen, ihn in geistige Ruhe zu versetzen, so wendete ich mich erneut Jack London zu, welcher neben Robert Holberg einen positiven Misston in dieser Sammlung gab.
Auch wenn ich bald schläfrig wurde, hielt mich meine Aufgabe wach, nachdem mein Freund in eine, so hoffte ich, alles vergessen machende Dunkelheit gefallen war. Nun war es an der Zeit, meinen Gehilfen aus der Reisetasche zu nehmen, ein Diktiergerät, das ich stets für Notizen benutzte, finde ich manches Mal keinen Platz, um auf Blättern zu notieren. Ich sorgte dafür, dass eine Kerze brennend blieb, damit ich des Schlafwandlers erste Regungen wahrnehmen konnte, setzte mich auf Dennis Roders Stuhl und sah auf seine blasse, schlafende Gestalt hinab. Auf den Lippen trug er ein trügerisch verweilendes Lächeln, das sonst nur Toten eigen ist. In Erwartung des Flüsterns schauderte es mich, obwohl ich doch so rational tätig war. Es begann in den frühen Morgenstunden, so müde war ich, dass meine Augen sich jede paar Sekunden von selber schlossen, als die Lippen meines Freundes zu beben anhoben – ein allzu leises Murmeln, das sich alsbald in das mir bekannte, artikulierte Flüstern steigerte. Von diesem Moment an über sein apathisches Aufrichten im Bett bis zum Spaziergang durch die große Leere und zurück, nahm ich jedes Wort aus seinem Munde auf. Wieder auf dem Sofa gebettet, schlief ich mit dem Gedanken ein, von allem das Richtige getan zu haben.
Als ich nicht viele Stunden später wieder erwachte, ich mag beinah freudig erregt ob meines Plans gewesen sein, und meinen Freund in seiner üblichen Haltung am Tische erblickte, zeigte sich in seinen Äußerungen der seelischen Verrückung eine unscheinbare doch merkliche Veränderung – sein gewohntes, somnambules und abwechselnd nervöses Gebaren hatte sich verloren, er war nurmehr einer erstarrten Ruhe ausgeliefert, die ihn den Stift zwar in seinen Fingern halten aber nicht führen ließ. Wie um die Erwartung meines Erwachens drehte er schwach den Kopf zu mir, um mich in einem Tonfall zum Morgen zu grüßen, den ich bisher nicht vernommen hatte. Hoch klang sein Entsetzen darin, dass Dennis zu nichts mehr fähig war, und sogleich sprach er ebendiesen Zustand selber aus.
„Etwas hat sich geändert“, sagte er, „hier im Warenhaus, die unsichtbaren Geister halten sich zurück. Ich bin umso mehr entsetzt, weil ich keinen Grund mehr sehe, entsetzt zu sein.“
Konnte sein dunkles Unbewusstes wahrgenommen haben, wie ich ihm folgte und nun vorhatte, es zu entlarven? Ich gab mir Mühe, mich wie in den letzten Tagen zu benehmen; anziehen, kurze Toilette, spärliches Frühstück; doch dies schien
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