Hana
auf den Treppen. Aber es ist überraschend leise.
Ich sehe, dass fast alle sich zu Paaren zusammengefunden haben. Jungen und Mädchen, ineinander verschränkt, halten Händchen und berühren sich gegenseitig an den Haaren und im Gesicht und lachen leise, tun all die Dinge, die in der wirklichen Welt verboten sind.
Angst steigt in mir auf. Ich war noch nie auf so einer Party. Ich kann die Krankheit geradezu spüren : das Krabbeln in den Wänden, die Energie und Anspannung – wie Tausende Insekten, die hier nisten.
Er muss da sein.
»Hier lang.« Angie hat ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Sie führt mich in den hinteren Teil des Hauses, und an der Art, wie sie sich trotz des dämmrigen und flackernden Lichts in den Zimmern zurechtfindet, kann ich erkennen, dass sie schon mehrmals hier gewesen ist. Wir gehen in die ehemalige Küche. Kerzen beleuchten leere Schränke, einen Herd und einen dunklen Kühlschrank ohne Tür, dessen Einsätze schwarz von Schimmelflecken sind. Es riecht abgestanden, nach Schweiß und Moder. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes stehen ein paar verstaubte Flaschen mit Alkohol und mehrere Mädchen lehnen sich verlegen an eine Arbeitsplatte, während eine Gruppe Jungen auf der anderen Seite des Raumes vorgibt, sie nicht zu bemerken. Offenbar waren sie ebenfalls noch nie auf so einer Party und befolgen unbewusst die Regeln der Geschlechtertrennung.
Ich mustere die Gesichter der Jungen in der Hoffnung, dass Steve unter ihnen ist. Aber das ist er nicht.
»Willst du was zu trinken?«, fragt Angela.
»Wasser«, sage ich. Meine Kehle fühlt sich trocken an und hier drinnen ist es heiß. Beinahe wünschte ich, ich wäre gar nicht aus dem Haus gegangen. Ich weiß nicht, was ich hier soll, und ich will auch mit niemandem reden. Angie gießt sich bereits etwas zu trinken ein und ich weiß, dass sie bald mit einem Jungen in der Dunkelheit verschwinden wird. Sie wirkt überhaupt nicht fehl am Platz oder nervös und einen Moment habe ich Angst um sie.
»Wasser gibt es nicht«, sagt Angie und reicht mir ein Glas. Ich nehme einen Schluck und verziehe das Gesicht. Das Getränk ist süß, hat aber einen stechenden Nachgeschmack, der mich an Benzin erinnert.
»Was ist das?«, frage ich.
»Wer weiß?« Angie kichert und trinkt einen Schluck aus ihrem eigenen Glas. Vielleicht ist sie doch unruhig. »Es hilft dir, dich zu entspannen.«
»Ich muss mich nicht …«, hebe ich an, aber dann spüre ich Hände an meiner Taille und mein Verstand wird ganz still und leer und ich drehe mich unvermittelt um.
»Hi«, sagt Steve.
In dem Moment, den es dauert, bis ich registriert habe, dass er da ist und wirklich existiert und mit mir redet, beugt er sich bereits vor und drückt seinen Mund auf meinen. Das ist erst das zweite Mal, dass mich jemand küsst, und ich bekomme kurz Panik und vergesse, was ich tun muss. Ich spüre, wie seine Zunge in meinen Mund vordringt, und zucke überrascht zurück, wobei ich etwas von meinem Getränk verschütte. Er löst sich lachend von mir.
»Freust du dich, mich zu sehen?«, fragt er.
»Hi, du«, entgegne ich. Ich kann immer noch seine Zunge in meinem Mund spüren – er hat etwas Saures getrunken. Ich nehme einen weiteren Schluck aus meinem Glas.
Er beugt sich vor und hält den Mund direkt an mein Ohr. »Ich hatte gehofft, du würdest kommen«, sagt er leise. Wärme breitet sich in meiner Brust aus.
»Wirklich?«, frage ich. Er antwortet nicht; stattdessen nimmt er mich bei der Hand und führt mich aus der Küche. Ich drehe mich um, um Angela zu sagen, dass ich gleich wiederkomme, aber sie ist verschwunden.
»Wo gehen wir hin?«, frage ich und versuche unbeschwert zu klingen.
»Überraschung«, sagt er.
Die Wärme aus meiner Brust ist mir inzwischen bis in den Kopf gestiegen. Wir gehen durch einen großen Raum voll mit weiteren Schattenleuten, weiteren Kerzen, weiteren flackernden Formen an der Wand. Ich stelle mein Getränk auf der Armlehne eines schäbigen Sofas ab. Darauf liegen ein Junge und ein Mädchen mit kurzen, stacheligen Haaren. Sie hat sich auf seinem Schoß zusammengerollt; er kuschelt sich an ihren Hals, sein Gesicht ist verdeckt. Aber sie wirft mir einen Blick zu, als ich vorbeigehe, und ich zucke zusammen: Ich erkenne sie. Sie hat eine ältere Schwester auf der St.-Anne-Schule. Rebecca Sterling – mit ihr war ich in gewisser Weise befreundet. Rebecca hat mir mal erzählt, dass ihre jüngere Schwester auf die größere Edison-Schule gekommen
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