Hand und Ring
geistesschwachen Zustand viel vor sich hin, was ich nicht verstehe, auch verspricht sie sich manchmal und sagt Frau Orkutt statt Frau Klemmens. Erst vorhin rief sie im Halbschlafe: »Marie Anna, warum hast du mir's gesagt, hättest du doch dein Geheimnis Emilien anvertraut. Nun muß ich ihr verschweigen, daß eigentlich Frau Orkutt –« weiter kam sie nicht. –
Gryce rieb sich vergnügt die Hände; der Brunnen war doch nicht ganz ausgetrocknet. –
Seltsam, rief er, aber für mich von großer Wichtigkeit. Glauben Sie mir, nicht von ungefähr bringt Ihre Mutter Orkutts Namen mit dem ihrer unglücklichen Nichte in Zusammenhang; das muß eine tiefere Bedeutung haben, denn ich sage Ihnen: Orkutt und kein anderer war der Mörder der Witwe Klemmens.
Ihr Mörder? Nicht möglich!
Das ist meine feste Ueberzeugung, versicherte Gryce feierlich. Soviel es ihm nötig schien, machte er hierauf Emilie Firman mit den Einzelheiten des Falles bekannt. Sie vernahm seine Erklärungen mit grenzenlosem Erstaunen.
So verbirgt meine Mutter am Ende wirklich ein Geheimnis vor mir, rief sie. Hätte ich es doch ahnen können, gewiß hat ihr das auf der Seele gelastet und sie so schwer bedrückt. Wer weiß, ob nicht der Briefumschlag etwas damit zu tun hat, den sie so ängstlich bewacht. Sie hält ihn stets unter dem Kopfkissen versteckt, seitdem sie das Bett hütet. Ich glaubte, es seien Briefe meines Vaters, aber –
Trägt der Umschlag eine Aufschrift? Ich möchte wohl wissen, was darin ist.
Wozu – hat das für Sie irgendein Interesse? Gewiß würde die Mutter merken, wenn man das Papier entfernte; es könnte sie ängstigen und ihr schaden.
Stecken Sie ihr einen andern Umschlag mit einem zusammengefalteten Papier unter das Kissen.
Weshalb soll ich sie täuschen?
Um Craik Mansell zu retten.
Den jungen Mansell kann doch das unmöglich etwas angehen.
Vielleicht ist weder leeres Papier in dem Umschlag noch alte Briefe Ihres Vaters – vielleicht enthält er irgendeine Urkunde – einen Trauschein zum Beispiel –
Einen Trauschein? –
Ja – eine Bescheinigung der Heirat von Frau Klemmensmit Herrn Orkutt. Wäre das der Fall, so könnte man ohne allzu großen Scharfsinn vorhersagen, daß die Folge davon Craik Mansells Freisprechung sein würde.
Marie Anna – Herrn Orkutts Frau? Unmöglich! rief Emilie Firman erregt; schon stand sie auf der Schwelle des Schlafzimmers.
Es sind schon weit unwahrscheinlichere Dinge in dieser Welt geschehen, entgegnete Gryce mit überlegenem Lächeln; Frau Klemmens kann sehr wohl Frau Orkutt gewesen sein.
Länger vermochte Emilie Firman ihre Neugier nicht zu bezähmen. Sie ließ den Detektiv stehen und schlich leise an das Bett ihrer Mutter. Bald kam sie mit geröteten Wangen zurück.
Ich habe den Umschlag, stieß sie hervor und nahm aus der Schürze ein Paket, das sie mit fliegender Hast öffnete.
Dicht beschriebene Blätter lagen darin.
Zweiundvierzigstes Kapitel.
Die Frist, welche Gryce verlangt hatte, war vorüber. Vor dem Bezirksanwalt standen die Detektivs, um ihm Bericht zu erstatten.
Nun, haben Sie gefunden, was Sie suchten? fragte Ferris gespannt.
Mein Verdacht hat sich bestätigt, war Gryces Erwiderung. Orkutt hat in der Tat Frau Klemmens umgebracht, weil sie seiner Heirat mit Imogen Dare im Wege stand. Sie war nämlich seine eigene Frau.
Orkutts Frau?! –
Ja, und zwar schon seit vielen Jahren, schon ehe sie nach Sibley kamen.
Ferris glaubte zu träumen.
Sie lernten sich während ihres Aufenthalts im Westen kennen, nahm jetzt Byrd das Wort. Der arme Schulmeister verliebte sich in die hübsche Kellnerin und beredete sie, ihn zu heiraten, aber die Ehe geheim zu halten, damit sie ihre einträgliche Stelle in dem Gasthaus nicht verliere. Hierin tritt schon seine kalt berechnende Natur zutage.
Und sie wurden wirklich getraut?
Sie stehen im Register.
Hat er denn seine Heirat niemals veröffentlicht?
Es scheint nicht. Die Frau war ihm zu ungebildet, und als er einen Monat später den Ruf hierher erhielt, wo sich ihm die glänzende Laufbahn als Rechtsanwalt eröffnete, dachte er sie im Stich zu lassen. Er entfernte sich heimlich aus der Stadt und hatte bereits die zwanzig Meilen entfernte Eisenbahnstation erreicht. Die Abfahrt des Zuges verzögerte sich jedoch, und es gelang ihr, den Flüchtigen einzuholen. Ein stürmischer Auftritt fand statt, von dem ich natürlich nichts Näheres weiß. Orkutt sagte ihr ohne Zweifel, daß ihm eine Frau aus niederem Stande, wie sie, in seiner
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