Hanibal
Römer. Die anfangs herbe Sprache wurde immer verbindlicher, schließlich fast freundlich. Der Tonfall konnte jedoch nicht über die Härte in der Sache hinwegtäuschen.
Roms Forderung lief auf eine Ausdehnung und Aufwertung des alten Vertrags über Einflußbereiche hinaus. Vor vielen Jahrzehnten hatte man ein Vorgebirge unweit von Mastia als Grenzpunkt festgelegt. Nördlich des Kaps sollten Römer und Westhellenen – vor allem Massalioten – Handelsstützpunkte errichten und Häfen anlegen dürfen, südlich die Punier. Hasdrubal erklärte den uralten Vertrag für unwirksam, da die Voraussetzungen nunmehr andere seien.
»Wir haben ihn bis heute eingehalten«, sagte er. »Natürlich; wir sind ja keine Barbaren und Rechtsbrecher. Aber ihr müßt bedenken, daß er zu einer Zeit geschlossen wurde, als Massalia sich ausdehnte, Rom noch nur eine Landmacht war und Qart Hadasht lediglich einige Emporien an der Südküste und im Westen Iberiens besaß. Inzwischen ist Massalia geschrumpft und zum römischen Bundesgenossen geworden; wir haben in Iberien ein Reich errichtet, das auch das Binnenland umfaßt , und Rom ist eine große Seemacht, der die einengenden Vorschriften des alten Vertrags nicht genügen können.«
Die Senatoren gehörten den beiden großen Gruppen an, die sich um die Gestaltung der Zukunft Roms stritten. Fabius und drei weitere Männer zählten zum alten römischen Bauernadel, mißtrauten der See und dem Handel und hätten am liebsten über Entfernungen zu Lande, Grenzbefestigungen und Truppenstärken gesprochen. Zwei Senatoren schwankten, die übrigen vier gehörten zu den Neuerern, die sich der hellenischen Kunst und Philosophie öffnen und Handel treiben wollten mit unterlegenen, eroberten Gebieten.
Hasdrubals Verhandlungsführung, wie Antigonos bald begriff, beruhte auf der genauen Kenntnis dieser römischen Widersprüche und verfolgte das Ziel, sie zu verstärken und auszunutzen. Während der punische Hellene dem zähen Ringen lauschte, stellte er sich jedoch eine andere Frage: War es wirklich Zufall, daß in Italien in dem Augenblick, da die Römer sich um Iberien zu kümmern begannen, ein Keltenkrieg ausbrach? Und: Warum ritt Hasdrubal plötzlich auf der erpreßten Abtretung Sardoniens herum?
»Es gibt natürlich«, sagte der Stratege sanft, »viele Punier, auch hier, die diesen Raub nicht vergessen haben. Manchmal fällt es schwer, sich an einen Satz des Friedensvertrags zu erinnern, der zwischen Lutatius und Hamilkar ausgehandelt wurde: Unter diesen Bedingungen soll Freundschaft sein zwischen Rom und Qart Hadasht…«
Fabius räusperte sich. »Freundschaft, Hasdrubal, ist der Zustand des Nichtkriegs. Man sollte ihn nicht mit inniger Herzlichkeit verwechseln.«
Hasdrubal betrachtete scheinbar zerstreut die Maserungen der Tischplatte. Kaum zu glauben, daß die Verhandlungen in dem Saal stattfanden, in dem am Vorabend ein Festmahl gefeiert worden war.
»Zweifellos sprichst du wahr, Römer. Wenn es denn eure Freundschaft zu Qart Hadasht nicht minderte, daß ihr uns Sardonien entrissen habt, sollte es auch eure kühle Herzlichkeit nicht mindern, wenn wir uns entschlössen, in einem Moment römischer Schwäche alte Freundschaften auf Sardonien neu zu … entfachen.«
Fabius kaute eine Weile darauf; seine Wangenmuskeln arbeiteten. »Es wäre ein unfreundliches Handeln«, sagte er schließlich.
Hasdrubal nickte. »Ich sage auch keineswegs, daß es unsere Absicht ist. Ich stelle nur fest, daß die augenblickliche Schwäche Roms, die Beschäftigung mit den keltischen Plünderhorden, uns ähnliche Gedanken nahelegt, wie ihr sie in der größten Schwäche von Qart Hadasht gehegt und durchgeführt habt.«
Er wechselte das Thema, sprach vom Handel, von den Vorzügen für beide Seiten, von Anlaufrechten für römische Schiffe, von Einzelheiten des punischen Zollrechts, kam wieder auf Sardonien zurück. Als Fabius das Gespräch auf Iberien brachte, schwärmte Hasdrubal in einem langen eleganten Monolog von den guten Eigenschaften iberischer Fürsten, der Fruchtbarkeit des Bodens, vom Liebreiz der Frauen und ihrem Einfallsreichtum in der Liebe, bis die harten asketischen Römer auf den Sitzen herumrutschten. Dann tastete er sich zurück zu Einzelheiten des Fernhandels, stellte Fragen über Fragen zum Umsatz großer römischer Handelshäuser, äußerte sich über die Beschaffenheit des Bodens am norditalischen Padus-Strom, pries die Trefflichkeit der von den ptolemaischen Herrschern an der Küste
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