Hanibal
eine solche Streitschrift jetzt nur albern; da ich gekämpft habe, wäre sie Greisentorheit. Was Hannibal mit dem Schwert nicht vermochte, soll ich, gestützt auf eine junge Kreterin, mit dem Schreibhalm bewirken? Vielleicht war es der lange Umgang mit Silber, dem Schwert und den Menschen, der mich vor den vielerlei Versuchungen bewahrt – auch vor jener, zum rechten Zeitpunkt mit dem treffenden Grund das Falsche zu tun, die Welt geliebt habend der Welt den Rücken zu kehren und sie zu verleugnen.
Dieses lernte ich in Indien zu vermeiden; Indiens Herrscher Ashoka tat derlei etwa zu der Zeit, da ich Indien bereiste. Er hatte Trümmer alter Reiche geeint, seine Herrschaft bis in den hohen Norden ausgedehnt, an den Fuß der Berge, die Alexandres eben noch überschritt, ehe sein Heer ihn am Indos zum Rückzug zwang. Ashoka ordnete sein Reich, legte Straßen an, ließ Häuser für die Siechen und Waisen bauen – und griff das alte Kalinga im Südosten an. Nach einem Feldzug, bei dem Hunderttausende niedergemetzelt wurden und weitere Hunderttausende in Sklaverei gerieten; einem Feldzug, der den Boden mit Blut tränkte, bis es nirgends mehr Dürre gab, und der alle Geier Indiens sättigte, bis sie sich erbrachen; am Ende dieses Feldzugs erklomm der König den größten Leichenhaufen, und es heißt, er habe auf der Spitze genächtigt, nachdem er bei Sonnenaufgang mit dem Klimmen begann. Er trat auf die Hände der gespeerten Säuglinge, zog sich an den Brüsten der vergewaltigten und gekehlten Frauen hoch, schlang die Gedärme gemeuchelter Greise zu Strickleitern, warf sie über die abgeschlagenen Köpfe der Fürsten von Kalinga, schwankte und torkelte über den steilen Grat aus verstümmelten Reitern, stieg den steilen Hang hinauf, den die zerhackten Leiber der Fürstenwache von Kalinga bildeten, glitt und taumelte über die Nebengipfel aus Ohren, Nasen, Gemachten, Zehen und erreichte so endlich würgend und sterbenselend die Spitze. Er atmete Verwesung, trank Blut, schlief auf gemartertem Fleisch. Am Morgen sah er über sein gesamtes Reich hinweg, von der See des Südens und der Inselbrücke nach Taprobane bis hinauf in den Norden zu den hellenischen Grenzhütern am Ostrand Baktriens, von den Segeln arabischer Händler auf dem westlichen Meer zu den weißen Himmelsbergen des Ostens. Und er sah, daß es gut war; es war sein, dies große Reich, und nichts mehr zu erobern, alles beherrscht und geordnet und unterdrückt. Zufrieden in seinem Gemüt und von dem Gebirge der Toten unter sich krank am Leibe rutschte er zu Tale, entsagte dem Krieg – es gab nichts mehr zu bekriegen – und dem Gemetzel – alle waren abgeschlachtet – und bekannte sich zur milden Lehre des milden Meisters Gotamo, der lehrt, daß die Welt Trug ist. Der Zeitpunkt war richtig, denn das Reich war geeint; der Grund war trefflich, denn des Mordens ist immer zuviel; der Entschluß jedoch war falsch, denn sofort begann der Zerfall dessen, was er gebaut, die Unordnung dessen, was er geordnet hatte.
Er fügte diesem Falschen noch eine Torheit hinzu, indem er die Welt nicht völlig fahren ließ, sondern sich mühte, die milde Lehre des Gotamo mit Gewalt durchzusetzen. Er ließ die hunderttausend alten Tempel schließen, die Tempel der Götterfratzen, der Göttinnen mit tausend mörderischen Brüsten, des liebenswerten elephanthropos Ganesha, der Gott ist und glückhaftes Beginnen; er wollte die Lehre töten, derzufolge alle Menschen vor der Geburt bereits bestimmten Gruppen angehören, und tat dies, indem er mit Hilfe der in die Gruppe der Krieger geborenen kshatriyas die Priester der anderen alten Lehre tötete. Und er ließ zu, daß die neue milde Lehre ebenso erbarmungslos wurde wie die alte, wie jede, die Macht erhalten, erweitern oder verbessern will. In Pa’alipotra, in den rinderschwangeren Gassen der alten Stadt, in denen die Tiere bis zum Bauch im eigenen Dreck standen, geheiligt wurden und ihre Milch über ekelhaftem Gewimmel absonderten, sah ich einen Neuling der milden Lehre, der sich einer Strafe zu unterziehen hatte. Es war am Abend eines heißen Tags; im Morgen hatte man ihn gefunden, da er das Glied in den Schoß einer Frau versenkte und ihre Brüste liebkoste. Die Oberen zwangen ihn, zur Wiedererlangung der vergeudeten Kraft des keuschen Leibs einen Esel zu schlachten, der vielen als Inbegriff der Geilheit gilt. Der junge Mann hatte den Esel geschlachtet, zog ihm die Haut ab, hüllte sich nackt in die triefende Haut und wanderte ächzend
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