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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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lesen?«
    »Und schreiben, Herr. Aber der Hafenmeister weiß das nicht.« Sie blickte zu Boden, dann hob sie die Augen und sah mich an.
    »Gut. Geh jetzt. – Ah, noch etwas. Wirst du seekrank?«
    Diesmal lächelten auch ihre Augen, allerdings verhalten.
    »Nein, Herr. Und der Name ist Korinna.«
    Ich deutete auf das gleißende Licht des Eingangs. Sie warf mir noch einen langen fragenden Blick zu, dann ging sie hinaus in den heißen Mittag.
    Ich setzte mich wieder an den Tisch und nahm die Warenrolle in die Hand. Meine Gedanken waren jedoch mit anderem befaßt. Khenu Baal, Gnade des Baal – Hannibal erwartete mich, wenn die Sonne über dem verlorenen Gadir im fernen Westen stehen würde, in oder bei einem Artemis-Heiligtum. Ich hatte gehofft, ihn hier in Nikomedeia zu sehen, aber angesichts der wirren Vorgänge und des beginnenden Kriegs zwischen Bithynien und Pergamon konnte ich nicht sicher sein. König Prusias mochte seinen berühmten Gast mit wer weiß welchen Unternehmungen betrauen. Niemand in der Stadt wußte etwas.
    Dann das Mädchen. Sie wirkte beherrscht, klug, war offenbar gebildet; ich konnte ihren kaum merklichen Akzent nicht einordnen. Vermutlich stammte sie aus Kreta oder von einer der kleineren südhellenischen Inseln und war im Verlauf des Kriegs zwischen Rom und Antiochos irgendwessen Beute geworden, als Kind. In Karchedon hatte man Sklaven gut behandelt – ohne große Gefühle, einfach als wertvolle Ware. Sklaven hatten im Krieg gegen die Söldner die Stadt verteidigt und tapfer gekämpft. In den meisten Städten des hellenischen Teils der Oikumene wäre derlei unvorstellbar; in all den Jahren hatte ich mich nicht daran gewöhnen können, daß Sklaven schlechter behandelt wurden als Vieh.
    Das Mädchen konnte lesen und schreiben; mein letzter Schreiber – ein Alexandriner – war auf der Fahrt von Ägypten nach Bithynien unausgesetzt seekrank gewesen, obwohl das sommerliche Meer wahrlich keinen Anlaß dazu bot.
    Außerdem war sie hübsch. Ah ja, die Regsamkeit des Fleisches. Nach achtzig Jahren hätte sie nicht nur nachlassen, sondern aufhören sollen. Aber die Fortdauer der Gelüste sollte einem Greis nur dann zur Klage gereichen, wenn ihm die Möglichkeiten fehlen, diesen Lüsten nachzugehen.
    Mit Hilfe des Alexandriners, der in Nikomedeia bleiben würde, beendete ich die Warenlisten. Die baktrische Karawane hatte die Stadt wieder verlassen, um noch vor Beginn des Winters die persischen Grenzberge zu passieren. Und um aus den bithynischpergamenischen Gebieten zu verschwinden, ehe Prusias und Eumenes mit dem neuesten hellenischen Wahnsinn Ernst machten.
    Salzfisch aus dem Euxeinischen Meer, Honig aus Kolchis , große Räder bithynischen Käses, Nüsse aus Paphlagonien; hinzu kamen einige der Waren, die die Karawane gebracht hatte – Musselin und Seide in Ballen; Holzkisten mit Schildpattscheibchen; ein paar Ledersäcke voll dunkelroter Karneole; Lavendel; Kassia und Kinnamon. Insgesamt war es eine gute Ladung. Die punischen Elfenbeinschnitzereien, die Glas und Goldarbeiten, dazu attisches Öl – was ich in Nikomedeia ausgeladen hatte, war verkauft, und was ich nun einlud, hatte nicht mehr als acht Zehntel des Verkaufserlöses gekostet und mußte mir fast das Doppelte einbringen. Ich überschlug noch einmal Einnahmen und Ausgaben, markierte einige Kisten und Ballen und sah zu, wie stämmige Thraker mit dem Beladen der Karren begannen.
    In einem Bretterverschlag am Ende der Halle fand ich die kleine Schachtel. Das Pulver im Säckchen war weiß und roch , wie es riechen sollte. Aus meinem Reisebeutel nahm ich die wunderbare kleine Glasarbeit einer punischen Werkstatt.
    Das Fläschchen hatte die Form eines weiblichen Rumpfs, ohne Arme und Beine. Die Brüste waren hoch und steil. Der Stöpsel war mit einer Art Halsschmuck verziert; darüber, aus einem Saphir geschnitten, das feine Gesicht einer jungen Punierin. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Durch Flaschen - »Hals« und Unterteil des Stöpsels war eine hauchdünne Goldkette geführt, die Flasche und Stöpsel ohne jedes Spiel zusammenhielt. Man konnte sie am Hals tragen.
    Meine Gedanken sprangen achteinhalb Jahre zurück, in eine Zeit des Bedauerns und der Wehmut. Ich seufzte leise; dann öffnete ich den Ring, der die Kette schloß, zog sie vorsichtig aus den winzigen Öffnungen, entfernte den Stöpsel und schüttete das weiße Pulver in den Frauenrumpf.
     
    Auf den Sockelvorsprüngen der bräunlichen Marmorsäulen des Portals bildete weißer

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