Hanibal
sehen, alter Freund. Du bist nicht vergreist, wie ich sehe.« Hannibal lächelte.
»Wozu die Heimlichtuerei? Ich denke, du bist Gast des Königs. Allerdings wußte ich nicht, ob du in Nikomedeia oder bei irgendeinem wahnsinnigen Unternehmen bist.«
»Wahnsinnig ist richtig.« Er deutete hinter sich. »Hast du den sogenannten Kriegshafen des Fürsten gesehen?«
Ich blickte hinab, dorthin, wo vier alte Trieren, zwei Penteren und ein Rudel räudiger kleiner Segler lagen. »Die stolze Flotte, ja. Und?«
Hannibal grinste. »Prusias läßt mich beobachten. Er hat furchtbare Angst vor all den Listen, die ich gegen ihn verwenden könnte. Jedenfalls hat er immer zwei oder drei Spitzel auf mich angesetzt. Hier oben kann ich sie von weitem sehen; außerdem ist das mein üblicher Abendspaziergang.«
»Deshalb die heimliche Botschaft. Wo warst du in den letzten Jahren? Ich hörte Gerüchte über Armenien.«
Er seufzte und lehnte sich an die einsame Säule. »Ja. Ich war bei König Artaxias, habe seine Wälder und Straßen von Räubern gereinigt und ihm eine Stadt entworfen. Aber…« Er deutete auf das schwarze Wasser, das tief unter uns im Schatten der Berge lag. Jenseits, auf dem südlichen Ufer, konnten wir noch einen roten Sonnenrand sehen.
»Was aber? Das Meer?«
Hannibal sah mich an; in dem Blick des einsamen Auges lag eine seltsame Mischung von Gefühlen. Trauer, Trotz, Sehnsucht, Abwehr, Entsagung, Hochmut… »Du bist doch auch so einer«, sagte er halblaut.
»Also deshalb. Du magst dieses Meer nicht verlassen.«
Er verschränkte die Arme. Wie üblich trug er nur einen einfachen Chiton, einen schlichten metallbesetzten Brustschutz, Sandalen; wie üblich steckte in seinem Gürtel Ylans Stichschwert.
Hannibal bemerkte meinen Blick und klopfte auf die Waffe.
»Dein schärfstes und treuestes Geschenk. Hat mich nie im Stich gelassen.«
»Aber was willst du jetzt tun, mit oder ohne Schwert? Dieses Meer…«
Er hob die Hand. »Dieses Meer, dieses Salz, diese Luft, diese Winde. Die Berge und Buchten und Menschen. Ich weiß; es ist beinahe ein römischer Binnensee geworden. Aber trotzdem. – Wie sieht es zuhause aus?«
»Qart Hadasht blüht. Die Versäumnisse der Vergangenheit sind nicht gutzumachen, aber noch blüht der Handel, und deine Neuordnung hat für eine feste Grundlage gesorgt. Es wird nicht mehr so viel bestochen; die hohen Beamten werden gewählt, nicht mehr auf Lebenszeit eingesetzt. Aber…«
»Aber was?«
»Masinissa.« Ich berichtete von dem numidischen Überfall, den ich selbst erlebt hatte, und ergänzte den Bericht durch Kenntnisse, die ich anderen verdankte – Händlern, Reisenden, Matrosen. Masinissa hatte einen Traum – den Traum von einem großen numidischen Reich, mit Qart Hadasht als Hauptstadt. Die von den Römern festgelegten Grenzen waren schwammig und konnten beliebig gedeutet werden; Senat und Volk von Rom dachten nicht im Traum daran, Karchedons blutende Grenze und die dauernden Gebietsverluste zur Kenntnis zu nehmen. Außerdem hatte Rom genügend andere Sorgen. Krieg in Iberien, wo die Stammesfürsten längst begriffen hatten, daß ihre neuen Herren sie zu Knechten machten; für Qart Hadasht waren sie Bundesgenossen mit innerer Selbständigkeit gewesen. Aufstände bei den Kelten und Illyrern, Unzufriedenheit bei den italischen Bundesgenossen, Gezeter bei den Hellenen, Schwierigkeiten mit den eigenen Bauern und Landsklaven.
»Ah ja, die Numider.« Hannibal verschränkte die Arme wieder. Um den Mund legte sich ein harter und zugleich bitterer Zug. »Wie du sagst – die Versäumnisse der Vergangenheit. Mein Vater und Hasdrubal haben es nicht geschafft, Stadt und Hinterland zur Einheit zu machen; der Rat wollte lieber Knechte. Weißt du eigentlich, daß ich verjähren mit Scipio über eine Änderung des Vertrags beraten habe?
Schriftlich?«
Ich blickte ihn sehr erstaunt an. »Nein.«
»Ah, mein Freund, es gab so viel zu tun, und später so viele andere wichtige Dinge…« Er zupfte an der Klappe über dem toten rechten Auge. »Ja, wir haben einander geschrieben. Ich habe ihm angeboten, Qart Hadasht zum römischen Bundesgenossen zu machen. Dafür sollte Rom die alten Städte Tabraq, Sikka und Thiouest als westliche Grenzfestungen des punischen Reichs anerkennen, eine Linie zwischen ihnen als Grenze; und im Osten Lepqy.«
»Hat er geantwortet?«
»Er wollte sich in Rom dafür einsetzen. Und dann…«
Er sprach nicht weiter; es war auch nicht nötig. Dann hatten die Grundherren
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