Hannes - Falk, R: Hannes
dem Staub gemacht. Hast die einzige Chance ergriffen, die ich dir ließ. Ich hab das Jahr verflucht, das wir noch hatten. Hab mir gewünscht, du wärst auf dem verdammten Asphalt gestorben. Dann wäre mein Schmerz schon viel kleiner. Hab mir eingeredet, ich hätte dieses Jahr nicht mehr gebraucht, keine einzige Sekunde davon. Was hat es uns gebracht? Was? Wir haben gekämpft und kläglich verloren. Es ist zum Kotzen. Irgendwann aber war auch die Grippe überstanden und ich hab angefangen, die Briefe zu lesen. Ich hab sie gelesen, jede einzelne Zeile, die ich für dich geschrieben hatte, und langsam hab ich begriffen, dass ich sie auch für mich geschrieben hab. Das Niederschreiben hat mir geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Den Alltag wiederzufinden. Das Auf und Ab, das Hoffen und Bangen, den Schmerz und die Lust. Und die Menschen, die dazugehören. Ich habe begriffen, dass ich ein eigenes Leben habe. Und das war entscheidend. Ich habe ein eigenes Leben und du bist nur ein Teil davon. Zweifellos der wichtigste, aber eben nur ein Teil. Und nun muss ich lernen, ohne dich klarzukommen. Das wird nicht einfach, aber ich werde es schaffen. Ich werde lernen, den Bus zu fahren, Hannes.
Vor ein paar Tagen ist mein Nachfolger hier im Vogelnest erschienen und ich habe ihn eingewiesen. Er hat den gleichen dummen Fehler gemacht wie ich selber damals. Er ist in das Zimmer vom Winfred und hat gesagt: »Servus Winnie!« Ich hab ihn gleich am Kragen gepackt und ihn gewarnt. Ich habe gesagt, er soll die Menschen hier respektieren, weil sie das verdient haben. Ein bisschen Respekt ist das Einzige, was ihnen an Würde übrig geblieben ist. Er hat es schon verstanden,im Grunde ist er schon okay. Ich hab ihn auch gefragt, ob er ein Musikinstrument beherrscht. Er hat wohl in der Schule mal Blockflöte gelernt. Na ja.
Die Walrika war unheimlich wichtig für mich in den letzten Wochen. Sie hat mir zugehört und all meine Trauer begleitet. Sie war einfach für mich da. Aber auch andere Menschen haben sich sehr liebevoll um mich gekümmert in dieser Zeit. Der Flori war hier mit den zwei Mädels und die Nele und der Kalle mit dem Kind. Deine Eltern haben mich besucht und sind nicht in angemessener Entfernung stehen geblieben, sondern sind an mein Bett gekommen und haben mich lange gedrückt. Der Rick war nach seiner unehrenhaften Entlassung aus der Bundeswehr zuallererst hier bei mir, Hannes. Und der Brenninger ist gekommen und hatte fürs ganze Vogelnest Schnittchen dabei. Meine Eltern sind kurz vor ihrem Rückflug noch mal gekommen und haben gesagt, dass die deinen nun für ein paar Wochen mit ihnen nach Spanien gehen werden, um die Geschehnisse zu verarbeiten. Fast täglich hab ich mit dem Michel telefoniert, und wir haben uns gegenseitig die Wunden geleckt. Ich hab sehr viel bekommen von den Menschen in meinem Leben und muss doch sagen, das meiste bekam ich von dir. Du bist mein Herz und meine Seele und wirst es immer bleiben. Ich danke Gott für deine Freundschaft und besonders für das letzte Jahr. Es war ein gutes Jahr, vielleicht unser bestes. Ich bin froh und dankbar, dass du nicht gestorben bist auf dem kalten Asphalt, sondern noch eine Ehrenrunde gedreht hast mit mir.
Ich schreibe nun diese Zeilen zu Ende und übergebe sie danach deiner kleinen Tochter, Hannes. Statt deiner. Sie sollalles lesen, wenn es Zeit dafür ist. Sie soll ein bisschen erfahren von unserer Freundschaft und Liebe, Hannes. Damit sie weiß, wie großartig ihr Vater war und was für ein Kämpfer. Dann hab ich noch einen schweren Schritt vor mir, weil ich mich vom Vogelnest verabschieden muss. Aber auch das werd ich schaffen. Ich werd nicht an dein Grab gehen, das kann ich noch nicht. Vielleicht kann ich es, wenn ich einmal zurück bin. Zuerst aber geh ich nach Neuseeland, Hannes. Für ein paar Wochen oder ein Jahr, wer weiß. Ich habe das Flugticket hier liegen und die Koffer sind gepackt. Ich hab die Taucherflossen eingepackt und den Schnorchel. Den Schal von der Frau Stemmerle und die Posaune. Das Bild mit dem Riss ist in der Hosentasche.
Danke, liebe Bianca,
es ist mir immer wieder eine Freude zu sehen, mit welch unglaublichem Einfühlungsvermögen du dich in meinen Texten bewegst. Du spürst immer haargenau den Sound, den ich zu treffen versuche. Ich danke dir vielmals für deine wundervolle Arbeit!
Danke, lieber Rudolf Frankl,
es ist für mich wie ein Ritterschlag, dass Sie meinen ›Hannes‹ so schätzen. Und es inspiriert mich
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