Hannes - Falk, R: Hannes
schließlich fündig geworden. Hat mich von deiner Seite geholt und ins Vogelnest gebracht. Dort hat sie mich in das Bett vom Flori gesteckt und mich gepflegt. Hat Tee gekocht und kalte Umschläge gemacht und meine Hand gehalten. Sie hat mich in den Schlaf begleitet und irgendwann hat sie das Zimmer verlassen. Nach einer Weile bin ich dann wach geworden und du bist auf meiner Bettkante gesessen, Hannes. Du bist auf meiner Bettkante gesessen, hast meine Hand genommen und auf die Decke plumpsen lassen.
»Was machst du hier, Hannes?«, hab ich gefragt.
»Ich bin da, weil du mich brauchst, mein Freund.«
»Ich hab dich mein Leben lang gebraucht.«
»Und ich bin ein Leben lang für dich da gewesen. Genauso wie du für mich, Uli.«
»Was soll das heißen? Was soll das heißen, Hannes? Das hört sich so nach Abschied an.«
»Du kennst mich wirklich gut, mein Freund. Ja, ich werde jetzt gehen. Ich werde gehen und möchte dir davor noch danken. Du hast mich begleitet durch mein ganzes Leben und dafür danke ich dir, Uli.«
»Wenn du jetzt gehst, brauchst du nie wiederzukommen, hast du verstanden?«
»Ich hab nicht vor, wiederzukommen.«
»Das kannst du jetzt nicht machen, du Arsch! Du kannst mich hier nicht alleine lassen, hörst du! Nicht nach allem, was wir zusammen erlebt haben.«
»Du bist nicht alleine, Uli. Du hast großartige Menschen um dich rum. Du musst dich nur mal umschauen.«
»Ich schaff das hier nicht ohne dich. Ich hab kein Leben ohne dich, Hannes.«
»Du hast ein Leben, mein Freund, glaub mir das. Aber meines ist hier zu Ende, Uli. Und ich kann dir sagen, das ist nicht schön. Ich sag das jetzt so, weil, wir haben uns doch noch nie angelogen. Warum sollten wir jetzt damit anfangen?«
»Aber man stirbt doch nicht an einer Grippe. Die kommt und geht wieder – fertig. Du hast den verdammten Unfall überlebt und die verdammte Lungenentzündung. Und dann stirbst du an einer Grippe! Ha – wenn das kein Witz ist! Warum jetzt, Hannes? Warum bist du nicht damals auf dem Asphalt gestorben? Wozu das Ganze? Ich bin an deinem Bett gesessen und hab mich über die Fortschritte gefreut und jeder war ein Feuerwerk. Hab durch dein Türfenster die Nebelschwaden verflucht und in die blöde Kastanie gestarrt, sommers wie winters. Hab dich durch die Gänge geschoben und dir mein Leben aufgeschrieben. Wozu, Hannes?«
»Ich konnte noch nicht fort, damals auf dem Asphalt. Es gab noch zu viel zu tun, Uli. Ich konnte euch nicht einfach so verlassen mit all eurem Schmerz. Das hat mir die Kraft gegeben für diese Ehrenrunde. Und ich bin froh darüber. Du bist auf meinem Bett gesessen und hast dich über die Fortschritte gefreut. Hast die Nebelschwaden angestarrt und die blöde Kastanie. Du hast mich durch die Gänge geschoben und du hast Abschied genommen von mir.«
»Ich hab nicht Abschied genommen von dir, du Arsch! Ich hab dir mein Leben aufgeschrieben, damit du es liest, wenn du zurückkommst.«
»Lies die Briefe, Uli. Du wirst sehen, dass du sie auch für dich geschrieben hast. Du wirst erkennen, dass du ein Leben hast und ich nur ein Teil davon bin. Du wirst es sehen, mein Freund, ich bin mir sicher. Ich bin sehr dankbar für dieses Jahr. Es war ein gutes Jahr, vielleicht unser bestes. Ich hab meine Freunde an der Seite gehabt und nicht alleine sterben müssen auf dem kalten Asphalt. Und ich hatte meine Tochter für ein paar Augenblicke. Sie ist auf meiner Brust gelegen und es war großartig. Sie ist großartig! Erzähl ihr von mir, wenn es so weit ist, denn du kennst mich am besten, Uli. Jetzt kann ich gehen, und du solltest es zulassen. Denn ich werde bei dir sein, wo immer du bist, mein Freund.«
Später ist die Walrika auf meiner Bettkante gesessen, hat mir ein kaltes Tuch auf die Stirn gelegt und gefragt, warum sie sich denn verpissen soll. Ich hätte immer geschrien: »Dann verpiss dich doch, du Arsch!«, hat sie gesagt. Sie hat mir die Tränen aus dem glühenden Gesicht gewischt und mich wieder in den Schlaf begleitet.
Irgendwann sind meine Eltern im Zimmer gestanden, in einiger Entfernung, um sich nicht anzustecken. Sie waren es auch, die mir von deinem Tod erzählten, mein lieber Freund. Sie standen in angemessener Entfernung und haben mir durchs Zimmer zugerufen, dass du es nicht geschafft hast. Es hat mir mein Herz zerrissen, als ich hörte, dass sie dich schon begraben haben. Ich war nicht dabei auf deinem allerletzten Weg. Den bist du ohne mich gegangen, Hannes.
Du hast dich einfach aus
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