Hannibal
Starling Bezug nehmen, dem Schlachten der Lämmer auf der Ranch in Montana, dem Heim ihrer Pflegeeltern«, fuhr Dr. Doemling in seiner trockenen Art fort.
»Sie hat mit Lecter Informationen ausgetauscht«, sagte Krendler. »Er wußte etwas über den Serienkiller >Buffalo Bill« »Der zweite Brief, sieben Jahre später, ist, oberflächlich betrachtet, ein Brief des Trostes und der Unterstützung«, sagte Doemling. »Er verspottet sie mit Anspielungen auf ihre Eltern, die sie offenkundig tief verehrt. Er nennt ihren Vater >den toten Nachtwächtern und ihre Mutter >das Zimmermädchen<. Und dann stattet er ihre Eltern mit außergewöhnlichen Eigenschaften aus, die sie sich bei ihnen gut vorstellen kann, und zieht diese Eigenschaften ferner dazu heran, um die Fehlschläge in ihrer Karriere zu entschuldigen. Es geht hier ums Einschmeicheln, es geht hier um Kontrolle. Ich denke, Frau Starling dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine noch andauernde Bindung an ihren Vater haben, eine Imago, die sie davon abhält, leicht sexuelle Beziehungen zu entwickeln, und die sie unter Umständen in Form einer Übertragung zu Dr. Lecter hingeneigt sein läßt, was dieser in seiner Perversität sofort begierig aufgreifen würde. Auch in dem zweiten Brief ermutigt er sie, über eine Anzeige in der Rubrik >Persönliches< Kontakt zu ihm
aufzunehmen, und schlägt ihr eine Chiffre vor.« Mein Gott, der Mann hört und hört nicht auf! Unruhe und Langeweile waren für Mason eine Qual, weil er nicht herumzappeln konnte. »Richtig, wunderbar, sehr schön, Doktor«, unterbrach ihn Mason. »Margot, bitte öffne das Fenster ein wenig. Ich habe eine neue Quelle zu Lecter, Dr. Doemling. Jemand, der beide, Starling und Lecter, kennt und sie zusammen gesehen hat. Hinzu kommt, daß er sich mehr als jeder andere in der Nähe von Lecter aufgehalten hat. Ich möchte, daß Sie mit ihm sprechen.« Krendler wand sich auf dem Sofa. Seine Eingeweide begannen sich zu regen, als er begriff, worauf dies hinauslief.
KAPITEL 51
Mason sprach in seine Sprechanlage, woraufhin ein großer Mann in den Raum trat. Er war genauso muskelbepackt wie Margot und ganz in Weiß gekleidet. »Das hier ist Barney«, sagte Mason. »Er hatte während der sechs Jahre, die Lecter im Baltimore State Hospital für geistesgestörte Straftäter einsaß, dort den Hochsicherheitstrakt unter sich. Barney arbeitet nun für mich.« Barney stand eigentlich lieber vor dem Aquarium neben Margot, aber Dr. Doemling wollte ihn im Licht haben. Barney nahm neben Krendler Platz. »Barney, richtig? Nun, Barney, über welche berufliche Qualifikationen verfügen Sie?« »Ich bin
Krankenpfleger.« »Ein staatlich geprüfter Krankenpfleger also? Wie schön für Sie. Ist das alles?« »Ich habe einen Bachelor in Altphilologie des United States Correspondence College«, sagte Barney ausdruckslos. »Und ein Zertifikat über den Besuch der Cummings School of Mortuary Science. Ich bin ausgebildeter Leichenwäscher. Das habe ich nachts während meiner Zeit in der Pflegerausbildung gemacht.« »Sie haben sich während ihrer Zeit in der Pflegeschule als Pathologiehelfer im Leichenschauhaus über Wasser gehalten?« »Ja. Leichname von Tatorten abtransportiert und bei Autopsien assistiert.« »Und davor?« »Marine-Corps.« »Ich verstehe. Und während Sie im Baltimore State Hospital arbeiteten, haben Sie Clarice Starling und Hannibal Lecter interagieren sehen - will sagen, haben sie miteinander sprechen sehen?« »Es schien mir, daß sie -« »Beginnen wir doch am besten damit, was genau Sie gesehen haben, nicht mit dem, was Sie glauben, gesehen zu haben. Denken Sie, daß Sie das für mich hinbekommen?« Mason unterbrach ihn. »Er ist intelligent genug, um seine eigene Meinung zu äußern. Barney, Sie kennen Clarice Starling?« »Ja.« »Sie haben mit Hannibal Lecter sechs Jahre lang zu tun gehabt?« »Ja.« »Was hatten die miteinander?« Krendler hatte anfänglich Schwierigkeiten, Barneys hoher, rauher Stimme zu folgen, aber er war es, der die richtige Frage stellte. »Hat Lecter sich während der Starling-Interviews anders als gewöhnlich verhalten, Barney?« »Ja. Die meiste Zeit über antwortete er gar nicht auf Fragen von Besuchern«, sagte Barney. »Das eine oder andere Mal öffnete er seine Augen mal eben so lange, wie es Zeit brauchte, um einen Universitätsmenschen zu beleidigen, der versuchte, an seinem Hirn herumzudoktern. Einen Professor brachte er sogar zum Weinen. Er war hart mit Starling, aber er hat
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