Hannibal
ihr mehr Fragen als den meisten anderen beantwortet. Er interessierte sich für sie. Sie hat ihn fasziniert.« »Wie?« Barney zuckte die Achseln. »Er bekam praktisch nie Frauen zu Gesicht. Sie sieht wirklich gut aus -« »Was das betrifft, verzichte ich dankend auf Ihre sicherlich ungemein wertvollen Einsichten«, sagte Krendler. »Ist das alles, was Sie wissen?« Barney antwortete nicht. Er schaute auf Krendler, als gäben die linke und rechte Hemisphäre von Krendlers Hirn das Bild zweier rammelnder Hunde ab. Margot knackte eine weitere Walnuß. »Fahren Sie fort, Barney«, sagte Mason. »Sie gingen aufrichtig miteinander um. Er ist auf eine eigentümliche Art entwaffnend. Man hat das Gefühl, als ob er sich nicht zu einer Lüge herabließe.« »Was tun würde mit einer Lüge?« fragte Krendler. »Sich nicht herablassen«, antwortete Barney. »H-E-R-A-B-L-A-SS-E-N«, buchstabierte Margot Verger aus dem Dunkeln. »Geruhen. Oder auch: sich erniedrigen, Mr. Krendler.« Barney fuhr fort: »Dr. Lecter hat ihr einige unangenehme Wahrheiten über sie selbst gesagt, dann aber auch durchaus Angenehmes. Auf diese Weise konnte sie den bösen Dingen ins Gesicht sehen und sich an den vorteilhaften erfreuen, da sie wußte, daß er ihr keinen Schwachsinn erzählte. In seinen Augen war sie zugleich bezaubernd und amüsant.« »Sie haben ein Urteil darüber, was Hannibal Lecter amüsant fand?« fragte Dr. Doemling mit gespieltem Unglauben. »Wie sind Sie denn dazu gekommen, Oberpfleger Barney?« »Ich habe schlicht und ergreifend seinem Lachen zugehört, Dr. Dummling. Wissen Sie, das haben die uns auf der Schule beigebracht, die Vorlesung trug den Titel >Heilen und der Ausdruck von Freude<.« Entweder röchelte Margot, oder das Aquarium hinter ihr machte das Geräusch. »Nur keine unnötige Hitze, Barney. Erzählen Sie uns lieber den Rest«, sagte Mason. »Ja, Sir. Manchmal haben Dr. Lecter und ich uns nachts unterhalten, wenn endlich Ruhe eingekehrt war. Wir haben über die Fernkurse gesprochen, für die ich mich eingeschrieben hatte, aber auch über andere Dinge. Er -« »Kann es sein, daß Sie an einem dieser Fernkurse in Vulgärpsychologie teilgenommen haben?« Dr. Doemling konnte es einfach nicht lassen. »Nein, Sir. Ich betrachte Psychologie nicht als Wissenschaft. Wie im übrigen auch Dr. Lecter nicht.« Barney fuhr schnell fort, bevor Masons Atemgerät es ihm erlaubte, einen scharfen Tadel auszustoßen. »Ich kann Ihnen aber auch einfach wiedergeben, was er mir gegenüber geäußert hat er könne sehen, was Starling werden würde; sie sei auf eine Art und Weise bezaubernd, wie das ein Kätzchen sei, eine kleine Katze, aus der einmal eine - Raubkatze werden würde. Eine, mit der man später nicht mehr spielen kann. Sie habe diese katzenhafte Aufrichtigkeit, sagte er, habe deren Waffen, en miniature; sie seien im Wachsen begriffen; und alles, worauf sie sich gerade verstehe, sei, sich mit anderen Kätzchen zu balgen. Das amüsierte ihn. Die Art, wie es zwischen ihnen begann, spricht für sich. Am Anfang war er ihr gegenüber höflich, ließ sie aber ziemlich auflaufen dann, sie war gerade im Gehen begriffen, schleuderte einer seiner Zellengenossen ihr Samen ins Gesicht. Das ließ Dr. Lecter hochschrecken, berührte ihn peinlich. Es war das einzige Mal, daß ich ihn aufgebracht erlebt habe. Sie hat es gleichfalls bemerkt und versucht, ihm gegenüber daraus einen Vorteil zu ziehen. Er bewunderte ihren Schneid, glaube ich.« »Wie war seine Haltung gegenüber dem anderen Insassen - wer hat den Samen
geschleudert? Hatten die beiden irgendeine Form von Beziehung zueinander?« »Das trifft es nicht ganz«, sagte Barney. »Dr. Lecter hat ihn bloß in der gleichen Nacht noch umgebracht.« »Sie waren doch in getrennten Zellen untergebracht?« fragte Dr. Doemling. »Wie hat er das tun können?« »Drei Zellen auseinander auf verschiedenen Seiten des Ganges, um genau zu sein«, antwortete Barney. »Mitten in der Nacht sprach Dr. Lecter eine Zeitlang mit ihm. Dann forderte er ihn auf, seine Zunge zu verschlucken.« »Clarice Starling und Hannibal Lecter ... sie freundeten sich also an?« wollte Mason wissen. »Innerhalb einer Art von Struktur, die gewissen Regeln unterworfen war«, sagte Barney. »Sie tauschten Informationen aus. Dr. Lecter gab ihr Einblicke in die Denkmuster eines Serienkillers, und sie bezahlte dafür mit Informationen persönlicher Natur. Dr. Lecter erzählte mir, seiner Meinung nach habe Starling mehr Energien,
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