Hannibal
sein Der Zeit, in welcher alle Sterne glühen, Als unvermutet Amor mir erschien; Noch, denk’ ich dran, will mich ein Schauer lahmen! Fröhlich schien Amor mir, in Händen hielt Mein Herz er, und in seinen Armen lag Die Herrin, schlafend, in ein Tuch gehüllt. Dann weckte er sie auf, und sie, mit Beben, Aß still mein glühend Herz. Fern schien der Tag, Und weinend sah ich ihn von dannen schweben.< Hören Sie, wie er aus dem gesprochenen Italienischen seiner Zeit, das er die vulgari eloquentia des Volkes nannte, ein Instrument formte: >Allegro mi sembrava Amor tenendo Meo core in mano, e ne le braccia avea Madonna involta in un drappo dormendo. Poi la svegliava, e d’esto core ardendo Lei paventosa umilmente pascea Appreso gir lo ne vedea piangendo.« Selbst die streitsüchtigen Florentiner konnten Dantes Versen nicht widerstehen, die, von Dr. Fell in
beeindruckendem Toskanisch vorgetragen, mit einemmal die Fresken mit Leben zu erfüllen schienen. Zunächst Applaus, dann eine tränenselige Abstimmung der Mitglieder, und Dr. Fell war als Herr über den Palazzo Capponi inthronisiert. Zurück blieb ein vor Wut kochender Sogliato. Ob der Sieg dem Doktor Genugtuung bereitete, war für Pazzi nicht zu erkennen, denn er hatte den Versammelten wieder den Rücken zugekehrt. Aber Sogliato gab noch nicht auf. »Wenn er so ein großer Dante-Experte ist, laßt ihn doch eine Vorlesung über Dante vor der studiolo halten.« Sogliato zischte den Namen heraus, als wäre damit die Inquisition gemeint. »Laßt ihn vor sie hintreten, am nächsten Freitag, wenn er sich das zutraut und extemporieren.« Die Studiolo, benannt nach einem prunkvoll geschmückten privaten Lesesaal, war eine kleine, gefürchtete Gruppe von Gelehrten, die bereits zahlreiche akademische Karrieren ruiniert hatte und sich oft im Palazzo Vecchio traf. Sich auf sie vorzubereiten galt als wirklich unangenehme Aufgabe, vor ihr erscheinen zu müssen als Spiel mit dem Feuer. Der Onkel Sogliatos unterstützte den Vorschlag, und sein Schwager rief zur Abstimmung auf, die wiederum von seiner Schwester zügig über die Bühne gebracht wurde. Die Abmachung stand. Sollte Dr. Fell am nächsten Freitag vor der Studiolo seine Feuertaufe bestehen, war er der Nachfolger des Verschwundenen. Die Komitees hatten einen neuen Kurator für den Palazzo Capponi. Dem alten weinten sie keine Träne nach. Was Wunder, daß sie die Fragen des in Ungnade gefallenen Pazzi nach dem Vermißten sehr knapp beantworteten. Pazzi schlug sich tapfer. Wie jeder gute Polizeibeamte hatte er sorgfältig die Lage sondiert. Wer profitierte vom Verschwinden des alten Kurators? Er war Junggeselle, ein allseits respektierter, in geordneten Verhältnissen lebender Gelehrte. Ein paar Ersparnisse, nicht nennenswert. Was er besaß, war seine Stelle und damit verbunden das Privileg, das Dachgeschoß des Palazzo Capponi bewohnen zu dürfen. Und hier der Anwärter, examiniert in florentinischer Geschichte, befragt nach seinen Kenntnissen des Altitalienischen und durch beide Komitees bestätigt. Pazzi hatte Dr. Fells Bewerbungsunterlagen und die Ergebnisse der amtsärztlichen Untersuchung überprüft. Als die Komiteemitglieder ihre Akten zusammenräumten und sich zum Gehen anschickten, sprach Pazzi den Doktor an. »Dr. Fell.« »Ja, Commendatore?« Der neue Kurator wirkte klein und strahlte Vornehmheit aus. Die obere Hälfte seiner Brillengläser war getönt. Der Schnitt seines dunklen Anzugs war selbst für italienische Augen von beeindruckender Eleganz. »Ich frage mich, ob Sie noch das Glück hatten, Ihrem Vorgänger begegnet zu sein.« Das Sensorium eines erfahrenen Polizeibeamten ist darauf geeicht, Furcht in allen nur denkbaren Facetten zu registrieren. Pazzi musterte Dr. Fell eindringlich. Er nahm nur die absolute Ruhe seines Gegenübers wahr. »Ich hatte leider niemals das Vergnügen. Allerdings habe ich verschiedene Monographien von ihm in der Reihe Nuova Antologia gelesen.« Dr. Fells toskanischer Tonfall war im Gespräch genauso klar wie in seiner Rezitation. Pazzi vernahm die Spur eines Akzents, doch gelang es ihm nicht, ihn zuzuordnen. »Ich weiß, daß die Beamten, die anfangs mit dem Fall befaßt waren, den Palazzo Capponi nach Hinweisen, wie beispielsweise einem
Abschiedsbrief, durchsucht haben. Sie fanden nichts. Sollten Sie in den Papieren auf irgend etwas Persönliches stoßen, auch wenn es trivialer Natur ist, wären Sie dann so freundlich, mich zu verständigen?« »Aber natürlich, Commendatore
Weitere Kostenlose Bücher