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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Pazzi.« »Werden seine persönlichen Gegenstände noch immer im Palazzo verwahrt?« »Wohl verstaut in zwei Koffern, inklusive
Aufstellung.« »Ich schicke - ich werde persönlich vorbeikommen und sie abholen.« »Hätten Sie die Güte, mich vorher anzurufen, Commendatore! Ich kann dann den Alarm deaktivieren, bevor Sie eintreffen. Das erspart Ihnen Zeit und Mühe.« Der Mann ist viel zu ruhig. Eigentlich müßte er ein wenig Angst vor mir haben. Was soll das? Er bittet mich darum, ihn anzurufen, bevor ich ihn besuchen komme. Die Versammlung hatte Pazzi aufgeregt. Er konnte nichts dagegen tun. Und nun fühlte er sich auch noch durch den Dünkel dieses Mannes herausgefordert. Er stichelte zurück. »Dr. Fell, gestatten Sie mir eine persönliche Frage?« »Wenn es der Rechtsfindung dient, Commendatore.« »Sie haben da eine verhältnismäßig frische Narbe auf dem Rücken Ihrer linken Hand.« »Und Sie einen neuen Trauring an Ihrer: La Vita nuova?« Dr. Fell lächelte. Er hatte kleine Zähne, sehr weiß. Bevor Pazzi sich von seinem Erstaunen erholen und beleidigt sein konnte, hielt Dr. Fell seine Hand mit der Narbe hoch und fuhr fort: »KarpaltunnelSyndrom, Commendatore. Die Geschichtswissenschaft ist ein riskanter Beruf.« »Warum haben Sie das in den Fragebögen bei der amtsärztlichen Untersuchung unter den Tisch fallen lassen?« »Ich hatte den Eindruck, Commendatore, daß körperliche Gebrechen nur dann von Bedeutung seien, wenn man ihretwegen vom Staat Invalidenrente bezieht. Das ist bei mir nicht der Fall. Außerdem bin ich nicht körperbehindert.« »Sie haben sich also der Operation in Brasilien unterzogen, Ihrem Heimatland?« »Auf jeden Fall war es nicht in Italien. Ich habe keinerlei Unterstützung von seiten des italienischen Staates bezogen«, sagte Dr. Fell, als glaubte er, die Frage damit vollständig beantwortet zu haben. Sie waren die letzten, die das Sitzungszimmer verließen. Pazzi war gerade in der Tür, als Dr. Fell ihn fragte. »Commendatore Pazzi?« Dr. Fell gab eine schwarze Silhouette vor den hohen Fenstern ab. Hinter ihm, in der Ferne, erhob sich der Dom. »Ja?« »Täusche ich mich, oder sind Sie ein Pazzi aus der berühmten Familie der Pazzi?« »Ja. Woher haben Sie das gewußt?« Einen Moment lang glaubte Pazzi, Dr. Fell spiele auf die extrem überzeichnete Berichterstattung der Presse an. »Sie haben Ähnlichkeit mit einer der Figuren auf den
Glaskeramiken von Lucca della Robbia in der Kapelle Ihrer Familie in der Basilika von Santa Croce.« »Ah, das war Andrea de’ Pazzi, dargestellt als Johannes der Täufer«, sagte Pazzi. Die Worte waren wie Balsam für seine wunde Seele. Als Rinaldo Pazzi die schlanke, im Sitzungszimmer stehende Gestalt verließ, prägte sich ihm als bleibender Eindruck Dr. Fells außergewöhnliche Ruhe ein. Dieser Eindruck sollte sich sehr bald verstärken.

KAPITEL 20
    Wir sind heutzutage einer Flut von Obszönem und Vulgärem ausgesetzt, die uns unserer Umgebung gegenüber stumpf werden läßt. Es ist daher höchst aufschlußreich, danach Ausschau zu halten, was für uns noch immer das Böse verkörpert, was bei uns einschlägt, wie es so schön heißt. Was uns hochschrecken läßt wie jener berühmt -berüchtigte kalte Waschlappen im Gesicht. In Florenz war es eine Ausstellung mit dem Titel »Das Theater der Grausamkeit«. Und dort begegnete Rinaldo Pazzi Dr. Fell das nächstemal. Die Ausstellung präsentierte mehr als zwanzig klassische Folterinstrumente, mit ausführlichen Erläuterungen versehen. Sie war im düsteren Forte di Belvedere untergebracht, einer von den Medici im 16. Jahrhundert erbauten Trutzburg, die über dem südlichen Teil der Stadt aufragte. Die Ausstellung zog das Publikum in Scharen an und erregte ungeheures Aufsehen. Ursprünglich war »Das Theater der Grausamkeit« nur für einen Monat angekündigt, war dann aber mehr als sechs Monate geöffnet. Als Attraktion zog sie mit den Uffizien gleich und übertraf sogar das Museum im Palazzo Pitti. Die Ausstellungsmacher, zwei abgehalfterte Tierpräparatoren, die sich in der Vergangenheit mehr recht als schlecht von den Überresten der Trophäen ernährt hatten, die man ihnen zum Ausstopfen überlassen hatte, wurden zu Millionären und feierten mit ihrer Ausstellung europaweit triumphale Erfolge. Die Besucher, in der Regel Paare, kamen aus ganz Europa und nutzten die abendlichen Öffnungszeiten, um an den Maschinen des Schmerzes vorbeizuflanieren. Sie studierten sorgfältig die in vier Sprachen

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