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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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und allein seines Charakters wegen. Große Teile der Öffentlichkeit hielten ihn zwar für unschuldig, waren jedoch der Überzeugung, daß Tocca ein Schwachkopf und am besten hinter Gittern aufgehoben sei. Im Alter von fünfundsechzig Jahren wurde er zu vierzig Jahren Haft in Volterra verurteilt. Die nächsten Monate erstrahlten in hellstem Glanz. Seit fünfhundert Jahren hatte man in Florenz keinen Pazzi so gefeiert wie Pazzo de’ Pazzi, nachdem er vom ersten Kreuzzug mit Feuersteinen vom Heiligen Grab zurückgekehrt war. Rinaldo Pazzi und seine schöne Frau standen neben dem Erzbischof im Dom, als besagte Feuersteine dazu verwendet wurden, während der traditionellen Osterfeierlichkeiten die mit einem Raketenantrieb ausgestattete Modelltaube zu zünden. Die Taube flog, an einem Draht geführt, aus der Kirche ins Freie und setzte zur Belustigung der Menge einen Karren mit Feuerwerkskörpern in Brand. Die Presse hing an Pazzis Lippen, als er seinen Untergebenen - im Rahmen des Üblichen, versteht sich - Lob für ihren großartigen Einsatz spendete. Signora Pazzi wurde in Fragen der Mode um ihre Meinung gebeten. Sie sah einfach umwerfend in den Kleidern aus, die die Designer ihr andienten. Sie wurden zu steifen
Teegesellschaften in die Häuser der Mächtigen geladen und speisten einmal mit einem Grafen in einem Schloß, umgeben von lauter Ritterrüstungen. Pazzi wurde für politische Ämter ins Spiel gebracht und, für italienische Verhältnisse ungewöhnlich einträchtig, von allen im Parlament vertretenen Parteien gepriesen. Man übertrug ihm die Leitung der zusammen mit dem FBI initiierten Aktion zur Bekämpfung der Mafia. Diese Aufgabe und ein Stipendium zum Studium der Kriminologie an der Universität Georgetown brachte die Pazzis nach Washington, D. C. Der Chefinspektor verbrachte viel Zeit in der Abteilung für
Verhaltensforschung in Quantico und träumte davon, eine eigene Abteilung für Verhaltensforschung in Rom zu gründen. Dann, zwei Jahre später, die Katastrophe: In einer weniger emotionsgeladenen Atmosphäre und ohne den öffentlichen Druck stimmte ein Berufungsgericht einem Wiederaufnahmeverfahren in Sachen Tocca zu. Pazzi wurde nach Hause zurückbeordert und mußte sich einer Untersuchung stellen. Unter den ehemaligen Kollegen, die er hinter sich zurückgelassen hatte, gab es viele, die Pazzis Kopf rollen sehen wollten. Die Berufungsinstanz hob das Urteil gegen Tocca auf und erteilte Pazzi eine Rüge. Man sei, hieß es in der Begründung, zu dem Schluß gekommen, Pazzi habe Beweise manipuliert. Seine früheren Förderer höheren Orts ließen ihn wie eine heiße Kartoffel fallen. Er nahm zwar immer noch eine wichtige Stellung innerhalb der Questura ein, galt aber in aller Augen als Auslaufmodell. Die Mühlen der italienischen Politik mögen langsam mahlen, aber früher oder später fällt das Beil.

KAPITEL 19
    In jener schrecklichen Zeit der Brandmarkung, als Pazzi auf das Fallen des Beils wartete, sah er zum ersten Mal den Mann, der unter den Gelehrten von Florenz als Dr. Fell bekannt war ... Rinaldo Pazzi stieg die Stufen der Treppe im Palazzo Vecchio mit einem jener vielen demütigenden Aufträge empor, die ihm, dem in Ungnade Gefallenen, seine vormaligen Untergebenen zur allgemeinen Freude in der Questura aufhalsten. Pazzi sah nur seine Fußspitzen auf den ausgetretenen Stufen und nicht die Kunstschätze um sich herum, als er an der mit Fresken bedeckten Wand nach oben stieg. Vor fünfhundert Jahren hatte man seinen Vorfahren blutend diese Treppe hochgeschleift. Auf einem Treppenabsatz hielt er inne, drückte die Schultern durch, ganz der Mann, der er früher einmal gewesen war, und zwang sich, in die Augen der Figuren auf den Fresken zu blicken, von denen einige mit ihm verwandt waren. Bereits auf der Treppe war die lautstark geführte Debatte im »Liliensaal« über ihm zu hören, wo sich die Direktoren der Uffizien-Galerie und der Kommission der Schönen Künste zu einer gemeinsamen Sitzung eingefunden hatten. Pazzis Anwesenheit war dem Umstand zu verdanken, daß der langjährige Kurator des Palazzo Capponi vermißt wurde. Es gingen Gerüchte um, der alte Schwerenöter sei mit einer Frau oder dem Geld fremder Leute oder beidem zugleich auf und davon. Er war die letzten vier Male nicht mehr zu den allmonatlichen Sitzungen des Leitungsgremiums im Palazzo Vecchio erschienen. Pazzi war geschickt worden, um die Untersuchung dieser Angelegenheit voranzutreiben. Chefinspektor Pazzi, der nach

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