Happy birthday, Türke!
Drahtwirrwarr hinterlassen. Ich schob die Tür auf. Im Flur war es düster. Eine Mischung von Kinderpipi und Bratkartoffeln zog mir in die Nase. Aus einer Wohnung blubberte es leise: ich lieb dich nicht - du liebst mich nicht. Die Briefkästen waren fast alle aufgebrochen oder aufgebogen. Wahrscheinlich hatte man die Schlüssel verloren. Ich ging langsam die Treppe hinauf in den dritten Stock. Zumindest ein Mitglied der Familie Ergün erwartete mich. Oben angelangt, öffnete sich sogleich die Tür. Ilter Hamul bat mich in die Wohnung. Sie hatte die Ohrringe gewechselt, trug jetzt kleine Perlen, die sehr viel strenger wirkten, der Situation entsprechend.
Gegen die Wohnung war der Hausflur ein Sonnenbad, und nur vage konnte ich den einen oder anderen Gegenstand ausmachen.
»Mein Bruder ist doch gekommen. Er hat sich für den Nachmittag frei genommen«, flüsterte sie mir zu, während ich gegen einen blödsinnig plazierten Sessel stieß. Wir schlichen durch. den langen Flur als wollten wir Marmelade klauen. Das Wohnzimmer befand sich am anderen Ende.
Ilter Hamul packte mich am Ärmel, und gemeinsam betraten wir einen großen Raum. Zwischen einem Haufen bunter Decken, Kissen, Sessel und Sofas hockten die Mitglieder der Familie Ergün.
»Hier ist Herr Kayankaya.«
Es klang wie eine Entschuldigung.
Das Zimmer glich einer Lichtung. Drei große Fenster ließen die Sonne herein. An den Wänden hingen Bilder aus der Heimat. Unter anderen Umständen mußte es gemütlich sein.
»Guten Tag«, versuchte ich freundlich. Einer nickte.
Ilter Hamul schob mich in einen Sessel, in dem man ohne weiteres zu zweit hätte schlafen können. Eine Kanne Tee, Tasse und Zucker standen auf einem kleinen Messingtisch davor. Ich setzte mich, nahm ein Stück Zucker und überlegte mir, wie am besten beginnen. Alles glotzte mich stumm an. Die drei kleinen Kinder saßen eng aneinandergeschmiegt in rotem Samt. Sie schienen wie aus Wachs.
»Tja«, sagte ich, und rührte im Tee. »Sie wissen, Frau Hamul hat mich engagiert, den Mörder ihres Mannes zu finden.« Pause. Bedächtiges Räuspern der alten Mutter.
»Oder es jedenfalls zu versuchen«, fügte ich hinzu.
»Ich muß Ihnen deshalb ein paar Fragen stellen. Es wird nicht lange dauern. Frau Hamul hat mir das Wichtigste schon erzählt.«
Der Bruder saß rechts von mir auf einem dunkelblauen Sofa. Jetzt warf er meiner Klientin einen kurzen, bösen Blick zu. Sie betrachtete stur ihre Schuhe.
Ich fischte Notizblock und Stift aus der Tasche, suchte eine leere Seite und fragte an Ilter Hamul gewandt: »Übrigens, wo ist Ihre Schwester? Arbeitet sie?«
Die Augen verließen die Schuhe, ihr Mund öffnete sich zu einem »Äh…«
»Sie ist krank und liegt im Bett! Sie kann nicht aufstehen, sie muß schlafen!« kam es schnell und kalt aus der Ecke des Bruders.
Die Situation war etwa so entspannt wie im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft. Also gut. Ich hatte hier nichts verloren. Dann wollte ich alles so schnell wie möglich hinter mich bringen.
»Das tut mir natürlich leid. Tja, dann sagen Sie mir mal alle Ihren Namen, Geburtsdatum, Beruf und so weiter…«
Da sich nichts tat, zauberte ich mir ein Lächeln ins Gesicht und wandte mich an den Bruder: »Fangen Sie an, ja? Und sagen Sie mir auch, was Sie vermuten, warum Ihr Schwager umgekommen ist.«
Inzwischen wußte ich nicht mehr so recht, was ich eigentlich fragen sollte. Viel konnte man mir hier bestimmt nicht erzählen.
»Ich heiße Yilmaz Ergün. Ich bin vierunddreißig Jahre alt. Mein Beruf ist Tischler, aber ich arbeite schon länger in einer Großküche. Inzwischen bin ich Hilfskoch.«
Er bemerkte das nicht ohne Stolz.
»Was für eine Großküche? Wo?«
»Im Hessischen Rundfunk.«
Schlechtes Radio und schlechtes Schnitzel waren das einzige, was mir dazu einfiel.
»Und was denken Sie über den Mord an Ihrem Schwager?«
Ich sah kurz rüber zu Ilter Hamul, um mich zu vergewissern, daß sie sich tapfer hielt. Sie hielt sich.
»Ich weiß nichts. Das ist Sache der Polizei!«
Daß er dieser Meinung war, wußte ich längst. Vielleicht hätte ihn eine Flasche Raki redseliger gestimmt.
»Na gut. Lassen wirs dabei. Zu Ihnen, Frau Ergün. Die gleichen Fragen.«
Die Oma war zwar offener, trotzdem mußte es etwas geben, was sie verschwieg. So dachte ich jedenfalls. Sie schmückte ihre Daten aus, erzählte eine ganze Lebensgeschichte und lächelte mir sogar manchmal zu.
Sie hieß Melike Ergün, war fünfundfünfzig Jahre alt, hatte mit
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